Hinnerk Kaiser von Continental im Gespräch

„Ein nachhaltiges Material, das einen Performance-Sprung ermöglicht, wäre ideal”

Hinnerk Kaiser steht seit vielen Jahren in Diensten von Continental.Hinnerk Kaiser steht seit vielen Jahren in Diensten von Continental.  Foto: Daniel Lorenz 

Herr Kaiser, im Rahmen der Produktvorstellung wurde davon gesprochen, dass der Conti Urban HA 5 NXT der „bislang fortschrittlichste Stadtbusreifen” im Markt ist. Warum ist das so und welche Bedeutung hat so ein Produkt mit Blick auf die Nachhaltigkeit-Ambitionen von Continental? 

Hinnerk Kaiser: Genau, mit dem Conti Urban HA 5 NXT haben wir den fortschrittlichsten Reifen innerhalb des Commercial-Tire-Portfolios, weil er zu 60 Prozent aus erneuerbaren, recycelten und ISCC-massenbilanz-zertifizierten Materialien besteht. Dafür transferieren wir die im Pkw-Reifenbereich bewährte NXT-Technologie in die Commercial-Welt. Und das hat so gut funktioniert, dass wir es sogar geschafft haben, bestimmte Performance-Kriterien weiterzuentwickeln und zugleich die neuen, nachhaltigen Materialien zu inkludieren.

Nachdem Sie den UltraContact NXT bereits angesprochen haben: Bis zu welchem Grad sind denn Nachhaltigkeitserfolge von Consumer auf Commercial übertragbar?

Hinnerk Kaiser: Das ist ein wichtiger Punkt. Beim Truck-Reifen nutzen wir als Recyclingmaterialien vor allem Naturkautschuk, Synthesekautschuk und aufgearbeitete Kautschuke aus Altreifen sowie recovered Carbon Black als Ruß. Diese Stoffe finden sich auch alle im NXT-Consumer-Reifen. Auf der anderen Seite konnten wir beispielsweise die Asche aus Reishülsen im Commercial-Produkt nicht verwenden, weil wir eben andere Anforderungen haben – etwa mehr Kilometerleistung, aber dafür weniger Nasshaftung. 

Gibt es für den Commercial-Reifen jenseits der genannten Kautschuk-Varianten noch andere nachhaltige Füllstoffe, die verwendet werden können? Oder ein mögliches Substitut für die Reishülsenasche?

Hinnerk Kaiser: Da sind wir in der Findungsphase und haben dabei auch schon die Zeit ab 2030 und die dann sechste Reifengeneration im Blick. Es laufen aktuell verschiedene Versuche und Tests und in dem Bereich wird sich auf jeden Fall noch einiges tun.  

Wie sehen sie allgemein die Bereitschaft im Commercial-Segment auf nachhaltigere Lösungen zu setzen? Anders als im Consumer-Bereich ist ja beispielsweise auch die Runderneuerung hier eher ein Thema.

Hinnerk Kaiser: Ja, die Akzeptanz für derartige Lösungen ist auf jeden Fall vorhanden, insbesondere in Bezug auf die Runderneuerung. Die Tatsache, einen Reifen bis zu dreimal runderneuern zu können, wird im Markt absolut anerkannt.

Wird Nachhaltigkeit dann tatsächlich auch zum Argument oder entscheiden letztendlich doch nur der Preis und die Kosten?

Hinnerk Kaiser: Es ergänzt sich beides, wobei am Ende natürlich die Kosten wichtig sind. Hier kommt dann wiederum unser Konzept der „Lowest Overall Driving Cost” (LODC) zum Tragen und nachhaltige Lösungen wie die Runderneuerung, die helfen, Kosten zu reduzieren, spielen da ganz klar mit hinein. 

Von welcher Seite kommen denn beim Thema Nachhaltigkeit mehr Impulse: Seitens der Hersteller durch ein diesbezüglich ausgerichtetes Angebot oder muss in gewisser Weise zunächst die entsprechende Nachfrage vorhanden sein?

Hinnerk Kaiser: Das ist durchaus eine Art „Henne-Ei-Problem”. Bei Continental wollen wir nicht nur die Regularien erfüllen, sondern darüber hinaus schauen. Allerdings macht es keinen Sinn, Produkte anzubieten, die der Kunde nicht haben will. Zum Glück sind die Kunden aber am Thema Nachhaltigkeit interessiert. Die Regularien treiben auch die OEMs weiter und ich bin überzeugt, dass wir beides gut miteinander verknüpfen können und sich Nachhaltigkeit am Ende rentiert.

Conti Urban HA 5 NXT
Der Conti Urban HA 5 NXT präsentierte Continental in Brüssel im Rahmen der diesjährigen Busworld. Foto: Daniel Lorenz 

Wäre denn technologisch ein 100 Prozent nachhaltiger Reifen realisierbar, der dann womöglich nur aufgrund seines Kostenpunkts im Markt nicht darstellbar wäre?

Hinnerk Kaiser: Das wäre technologisch schwierig. Grundsätzlich müssen wir bei den nachhaltigen Materialien darauf achten, dass diese die Performance nicht negativ beeinflussen bzw. dass sie nur dort zum Einsatz kommen, wo eine mögliche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit ausgeschlossen ist. Eine Obergrenze für nachhaltige Materialien lässt sich aus heutiger Sicht nicht definieren. 

Ermöglichen die nachhaltigen Elemente mit ihren Eigenschaften in irgendeiner auch Performance-Fortschritte? 

Hinnerk Kaiser: Das ist das, was wir uns für die nächste Generation genau anschauen. Das wäre eine ideale Kombination – ein Material, das sowohl nachhaltig ist, als auch einen richtigen Performance-Sprung ermöglicht. Das müssen wir aber noch finden und daran arbeiten wir.  

Ist die Lieferfähigkeit mit Blick auf die bereits verwendeten nachhaltigen Materialien ein großes Thema? Im Bereich des rCB wirkt sich da sicherlich die Kooperation mit Pyrum positiv aus. 

Hinnerk Kaiser: Solche Verbindungen müssen früh genug aufgebaut werden. Zudem müssen die eigene Lieferkette und die Rohmaterial-Beschaffung mit Blick auf das „Cradle-to-Cradle-Prinzip” und den ISCC-Standard genau betrachtet werden. Dadurch kann dann zum einen die Versorgungssicherheit und zum anderen auch die Nachhaltigkeit gewährleistet werden. 

Unser Entwicklungsprozess geht über das reine Zusammenmischen von Materialien hinaus. Wir schauen, mit wem wir zusammenarbeiten wollen und mit welchem Partner wir gemeinsam an neuen Materialien forschen, die die Eigenschaften verbessern. Durch effektive Vernetzung und Kooperation kann gemeinsam mehr Wissen aufgebaut werden.

Mit der Euro-7-Norm wird der Faktor Abrieb in der Entwicklung wichtiger. Bei Pkw-Reifen ist das schon absehbar. auch wenn die Grenzwerte noch nicht final feststehen. Wie sieht das im Commercial-Bereich aus bzw. wie ist an dieser Stelle der Austausch mit der Pkw-Entwicklung?  

Hinnerk Kaiser: In unserer Forschung & Entwicklung in Hannover tauschen sich unsere Pkw- und Lkw-Entwicklerinnen und -Entwickler intensiv zu allen Themen aus. Die NXT-Technologie aus dem Pkw-Bereich ist da ein gutes Beispiel. Bei der Euro-7-Norm sind j Grenzwerte für Tyre and Road Wear Particles (TRWP) von zentraler Bedeutung. Dabei ist der Straßenabrieb als relevanter Teil des Gesamtabriebs ebenfalls zu betrachten. Wenn ich Grip erzeuge, habe ich physikalisch immer eine bestimmte Abriebsmenge. Unsere Aufgabe ist es, diesen Abrieb einerseits zu minimieren und andererseits möglichst ökologisch und umweltverträglich zu gestalten. Und daran forschen wir gemeinsam mit den Pkw-Kolleginnen und -Kollegen intensiv. 

Gibt es gewisse Bereiche, in denen der Commercial-Bereich als Vorreiter fungiert? Bei der NXT-Technologie und beim Abrieb sind es ja eher Entwicklungen, die aus dem Consumer- auf den Commercial-Bereich abstrahlen.  

Hinnerk Kaiser: Durchaus, ein Punkt ist das Flottenmanagementsystem ContiConnect und das dadurch mögliche Digital Monitoring von Reifen. Das ist in der Truck-Welt schon etabliert und könnte auch für Leasinggesellschaften und deren Fuhrparks interessant sein. Ansonsten sind wir im Commercial-Segment wie erwähnt beim Thema Runderneuerung ein gutes Stück weiter. Da ist die Frage, wie sich das im Pkw-Bereich entwickelt. Es gibt sicherlich technologische Aspekte, die man aus dem Nutzfahrzeugbereich übertragen kann.

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