Zulieferindustrie schlägt Alarm

“Fairness und Partnerschaft in der Lieferkette sind notwendiger denn je”

Zulieferer IndustrieDie deutschen Automobilzulieferer sehen sich mit einer Vielzahl an Problemen konfrontiert.  Foto: gopixa - stock.adobe.com

„Die deutschen Zulieferer haben ein schwieriges Jahr 2023 hinter sich und befinden sich im Frühjahr 2024 in einer kritischen Phase“, bringt Christian Vietmeyer, Sprecher der ArGeZ, die Situation der hiesigen Zuliefererindustrie auf den Punkt. Für das abgelaufene Geschäftsjahr bilanzieren die Unternehmen einen Produktionsrückgang um 4,8 Prozent sowie einen um 3,2 Prozent geringeren Umsatz (240 Milliarden Euro). Zudem beklagen die Zulieferer eine “kontinuierlich abnehmende Kapazitätsauslastung” (76,6 Prozent; -4,4 Prozentpunkte), die vor dem Hintergrund des hohen Kostendrucks und wichtiger Investitionsentscheidungen besonders problematisch sei. 

Zunehmend wirkt sich hierbei die nur langsam in Fahrt kommende Elektromobilität aus. So sind die Neuzulassungs- und Produktionszahlen bei BEV in Deutschland gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken. “Viele Zulieferer sind aber erheblich in Vorleistung gegangen und bekommen jetzt nicht die notwendige Rendite”, konstatiert die ArGeZ. “Damit sich Investitionen in Elektromobilität lohnen, müssen sich die Produktionszahlen viel dynamischer entwickeln.” Aktuell ist jedoch eher das Gegenteil der Fall. In Verbindung mit dem “nach wie vor sehr volatile Bestellverhalten der OEM und der großen Systemlieferanten bei anderen Fahrzeugtypen” bringe das viele mittelständische Zulieferbetriebe in Bedrängnis. 

Mit Blick auf die konjunkturelle Entwicklung und vielfach nach unten korrigierte Prognosen stehen den Unternehmen weitere harte Zeiten bevor. Produktion (-4,9 Prozent) wie auch Umsatz (-4,1 Prozent) der Zulieferindustrie gingen in den ersten beiden Monaten des Jahres zurück. “Die mittelständischen Zulieferer ohne Auftragspolster und ohne Perspektive auf baldige Nachfrageimpulse in das Jahr”, warnt die ArGeZ. Perspektivisch könnte es damit zu weiteren Insolvenzen unter den Zulieferern kommen. Ein solches Szenario hatte der Kreditversicherer Atradius bereits zu Beginn des Jahres skizziert. 

"Liquidität und Eigenkapital schmelzen"

Angesichts dieser Daten ist wenig verwunderlich, dass die Stimmung unter den deutschen Zulieferern äußerst schlecht ist. Mit -23,1 Punkten liegt der saisonbereinigte ifo-Geschäftsklima der ArGeZ-Unternehmen deutlich im negativen Bereich. Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen bezeichnet die gegenwärtige Geschäftssituation als „gut“. Ähnlich schlechte Werte waren nach Aussage der ArGeZ bislang mit “exogenen Schocks” wie der Corona-Pandemie oder der Weltfinanzkrise verknüpft, weshalb die Frage nach “ einer strukturellen Schwäche des Wirtschaftsstandortes Deutschland” aufgeworfen wird. 

In diesem Zusammenhang wird auch auf die wachsende Auslandsproduktion deutscher Autokonzerne verwiesen. Diese “schleichende Deindustrialisierung im Automobilsektor” führe gerade bei kleineren Zulieferern zu sinkenden Abrufzahlen, weil im Ausland zunehmend lokal zugekauft werde und nicht jeder Zulieferer den Schritt ins Ausland mitgehen könne. Im Inland wiederum sehen sich die Unternehmen parallel zur abnehmenden Nachfrage weiterhin “mit im internationalen Vergleich zu hohen Kosten” konfrontiert. Dies betreffe sowohl die inflationsbedingten Kostenersteigerungen aus der Vergangenheit – auch wenn die Inflationsrate selbst sinkt –  sowie die Preise für Energie. 

“Das Preisniveau beim Strom und Gas inklusive Netzentgelten und sonstigen Abgaben beträgt immer noch das Doppelte bis Dreifache gegenüber China, Frankreich und den USA”, stellt die ArGeZ fest. Darunter hätten vor allem energieintensive Betriebe, die am Anfang der automobilen Lieferkette stehen, zu leiden. “Wenn diese Kosten im Markt nicht weitergegeben werden können, schmelzen Liquidität und Eigenkapital alsbald dahin. Fairness und Partnerschaft in der Lieferkette sind da notwendiger denn je. In diesem Umfeld, in dem Kosten weiter steigen, hat der Gesetzgeber leider immer noch keine Antworten auf dramatisch anwachsende Wettbewerbsnachteile gefunden”, so die ArGeZ in einer Mitteilung. 

Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen 

Rufe nach Unterstützung seitens der Politik wurden bereits mehrfach laut. Die Forderung der Zulieferindustrie sind vor allem auf die anstehende Europawahl im Juni 2024 gerichtet: “Die neu gewählte EU-Kommission muss mit einer Industriestrategie für Wachstum sorgen und weniger regulieren.” Ähnlich hatte sich bereits der wdk – der sich innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie engagiert – mit Verweis auf das europäisches Lieferkettengesetz geäußert. 

Bereits heute spüren Zulieferer laut ArGeZ-Angaben, dass ihre Finanzierung bei den Hausbanken schwieriger wird. “Es darf aber nicht sein, dass die Politik europäischen Unternehmen den Zugang zu Finanzmitteln erschwert, während gleichzeitig die industrielle Wertschöpfung in anderen Regionen der Welt stark wächst”, so Christian Vietmeyer. Geboten sei die zügige Vorlage und Umsetzung einer validen Industriestrategie seitens der EU-Kommission, um Europa gegenüber den USA und Asien wieder dauerhaft wettbewerbsfähig zu machen. 

In der Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie (ArGeZ) engagieren sich neben dem wdk auch die WirtschaftsVereinigung Metalle, der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie, Aluminium Deutschland e.V., Verband Technische Kunststoff-Produkte, der Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung sowie der Industrieverband Veredlung-Garne-Gewebe-Technische Textilien. Sie vertreten rund 9.000 – vornehmlich mittelständisch geprägte – Zulieferunternehmen mit rund einer Million Beschäftigten.

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