Erneute VDA-Umfrage im automobilen Mittelstand

Investitionen in Deutschland werden “verschoben, verlagert oder gestrichen”

InvestitionenUnternehmen des automobilen Mittelstandes prüfen ihre Investitionen in Deutschland derzeit sehr genau.  Foto: ktasimar - stock-adobe.com

Um die wirtschaftliche Situation in der hiesigen Automobilindustrie realistisch einschätzen zu können, befragt der Verband der Automobilindustrie (VDA) in regelmäßigen Abständen entsprechende Unternehmen. An der jüngsten Ausgabe der Umfrage vom 3. bis 16. Mai 2024 haben sich 143 Automobilzuliefer (Herstellergruppe III) sowie mittelständisch geprägte Herstellern von Anhängern, Aufbauten und Bussen (Herstellergruppe II) beteiligt. Gegenüber den Resultaten aus dem Herbst vergangenen Jahres hat sich an der Situation der Unternehmen wenig geändert. 

Vor allem aufgrund der Bürokratie – von 83,3 Prozent der Befragten als starke oder sogar sehr starke Belastung identifiziert – ändern sich die Investitionspläne der Unternehmen an ihren deutschen Standorten. 82 Prozent der Befragten gaben demnach an, eigentlich geplante Investitionen in Deutschland zu verschieben, zu verlagern oder ganz zu streichen. Dabei ist Bürokratie nicht die einzige Herausforderung, mit der sich der Mittelstand konfrontiert sieht. Der Wert der Unternehmen, die eine Belastung signalisieren, lag jedoch nie höher. Und auch die Erwartungen ans das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Bürokratieentlastungsgesetz sind gering: 86 Prozent der Unternehmen erwarten für sich keine Entlastung. Entsprechend fordert Arndt G. Kirchhoff, Vorsitzender des Beirats der Kirchhoff-Gruppe und VDA-Vizepräsident: “Maßnahmen zum Bürokratieabbau müssen deutlich stärker als bisher auch den industriellen Mittelstand berücksichtigen.“

Beschäftigungsabbau und Fachkräftemangel 

In der VDA-Umfrage ebenfalls häufig als Belastung genannt, die Faktoren Steuern und Abgaben (65 Prozent), hohe Strompreise (62 Prozent) und hohe Gaspreise (50 Prozent). Zudem bleibt der Mangel an Fach- und Arbeitskräften eine zentrale Herausforderung für 68 Prozent der befragten Unternehmen. Als Reaktion darauf setzten die Betriebe vielfach auf die eigene Ausbildung (45 Prozent), während nur 26 Angaben, ihren Fachkräftebedarf über den Arbeitsmarkt zu decken.

Zugleich sorgt jedoch die Transformation der Automobilindustrie in Richtung Klimaneutralität und Digitalisierung dafür, dass Beschäftigung trotz Fach- und Arbeitskräftemangel in Teilen abgebaut wird. In der Umfrage gibt rund jedes zweite befragte Unternehmen (45 Prozent) an, aktuell in Deutschland Beschäftigung abzubauen. Die Auswirkungen der Transformation auf die Beschäftigung in der Automobilindustrie will der VDA noch einmal gesondert in den Blick nehmen und arbeitet dafür an einer detaillierten wissenschaftlichen Studie, die voraussichtlich im Oktober dieses Jahres veröffentlicht wird. 

Auch der wdk appelliert erneut an die Politik

Auf dem 24. Mittelstandstag des VDA, der Anfang Juni in Bonn stattfand, wurden auch die jüngsten Umfrageergebnisse diskutiert. Anlässlich der Eröffnung des Events sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller: „Die Transformation sowie der sich verschärfende internationale Wettbewerb fordern insbesondere die Unternehmen des automobilen Mittelstandes stark. Ich bin jeden Tag beeindruckt, wie sie den Herausforderungen begegnen und mit welcher Innovationskraft, Entschlossenheit und hohen Investitionen sie den Wandel zu klimaneutraler und zunehmend digitaler Mobilität vorantreiben. Umso wichtiger ist es, dass die Unternehmen durch die richtigen politischen Rahmenbedingungen unterstützt und im internationalen Wettbewerb gestärkt werden. Es braucht eine aktive Industriestrategie, einschließlich einer aktiven Handelspolitik."

In dieser Hinsicht erhofft sich auch der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie e.V. (wdk) Impulse seitens der politisch Verantwortlichen auf Bundes- wie auch auf EU-Ebene. wdk-Präsident Michael Klein wiederholte dabei seine Forderung nach einem „Industry-Deal“, um alle zuvor ausgerufenen „European-Deals“ überhaupt weiter in Erwägung ziehen zu können. “„Deutschland und Europa sitzen im gleichen Boot und kranken an den gleichen Themen: hohe Energiekosten, hohe Unternehmensbesteuerung, und eine einzigartige Überregulierung, wie sie aus keinem anderen konkurrierenden Wirtschaftsraum bekannt sind. Je länger diese Fragen nicht schnell und massiv angegangen werden, desto mehr mittelständische Firmeninsolvenzen werden wir sehen”, so seine Befürchtung. 

Jedes zweite Unternehmen erwartet eine gleichbleibende Situation

Mit Blick auf die Politik zeigen auch die weiteren Umfrageergebnisse deutliche Unzufriedenheit, insbesondere mit der EU. 80 Prozent der Unternehmen sind der Ansicht, dass die Handelspolitik der EU nicht zum Wohl des industriellen Mittelstands beiträgt. Zudem erwarten 82 Prozent durch zunehmende Handelskonflikte negative Auswirkungen auf ihr Unternehmen. Mit Blick auf diese Zahlen betont Hildegard Müller: “Bei aller Kritik an vielen europäischen Entscheidungen ist klar: Europa ist unverzichtbar – für Frieden und Sicherheit, als Wohlstandsgarant, als Binnenmarkt. Entscheidend ist: Wir brauchen eine relevante und gestaltende EU. Nur als globale Wirtschaftsmacht können wir auf Augenhöhe mit anderen Regionen der Welt kommunizieren, selbstbewusst auftreten und unsere Interessen wirkungsvoll vertreten.” 

Hinsichtlich der Ergebnisse Europawahl und die formulierten Verbandserwartungen an die Politik konstatiert Michael Klein: “Die leider erstarkten radikalen Kräfte im EU-Parlament verfügten eher weniger über die notwendige Kompetenz oder ideologische Neutralität.” Ungeachtet des Ausgangs der Europawahl – weil bereits zuvor abgefragt – erwartet die Mehrheit der vom VDA befragten Unternehmen keine Veränderung der eigenen Situation (54 Prozent). Bei 22 Prozent äußerten positive Aussichten, 24 Prozent prognostizierten eine Verschlechterung der Lage.  

Potenziale von KI und Vorteile am Standort Deutschland 

Schließlich wurden in der VDA-Umfrage zumindest auch einige positive Aspekte des Wirtschaftsstandorts Deutschland genannt. Dazu zählen insbesondere das industrielle Netzwerk, die duale Ausbildung, die Infrastruktur und die politische Stabilität. Mit Blick auf die Zukunft sehen die Unternehmen darüber hinaus Potentiale in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Machine Learning. 36 Prozent der Befragten setzen Künstliche Intelligenz bereits ein – vor allem in der Produktion und bei der Qualitätssicherung –, weitere 41 Prozent planen den Einsatz in absehbarer Zeit. Haupthemmnisse für einen schnelleren und tieferen Einstieg in die Technologie sind den Umfrageergebnissen zufolge fehlendes Fachpersonal und der hohe Investitionsaufwand bei gleichzeitig begrenzten finanziellen Ressourcen respektive begrenztem Zugang zu Finanzierungen

Passend dazu rückte der VDA die beiden Zukunftsthemen ins Zentrum seines Mittelstandstages. Unter dem Titel "Standort und Zulieferer stärken: Künstliche Intelligenz als Treiber der Transformation“ ging es während der zweitägigen Konferenz unter anderem um den Einsatz von KI in der Produktion und den Lieferketten. „Der Austausch und die Diskussion der Branche untereinander hierzu sind ungemein wichtig und wertvoll“, unterstrich Arndt G.Kirchhoff, der das Amt des Vorsitzenden des VDA-Mittelstandsforums im Rahmen der Veranstaltung an Isabelle Kirschbaum-Rupf, Gesellschafterin und Mitglied der Geschäftsleitung der Rupf Industries Gruppe sowie Mitglied im VDA-Vorstand, übergab. 

Ähnliche Artikel

wdk Michael Klein
wdk kritisiert fehlende Fairness in Automobil-Wertschöpfungsketten
Kautschukindustrie
Dr. Stefan Hartung, Dr. Markus Heyn Bosch
“Bosch ist längst auch ein Software-Unternehmen”
Bosch Tech Day 2024
Pirelli Breuberg
“Wir sind ein kleiner und agiler Spieler”
Pirelli in Breuberg
Bosch Qualifizierung
Bosch kommt “trotz starkem Gegenwind” voran
Zulíeferer steigert Umsatz und Ergebnis