Mehr Agilität als Ziel der Abspaltung
Automotive-Sparte ohne Zukunft im Conti-Konzern
Der nächste Spin-off bei Continental steht bevor. Das Automotive-Geschäft des Konzerns kommt trotz großer Zukäufe in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht so in Fahrt, dass Augenhöhe mit Akteuren wie Bosch oder ZF hergestellt werden kann. Eine Abspaltung des Zulieferergeschäfts würde die Reifendivision – ohnehin die Cashcow der vergangenen Jahre – wieder ins Zentrum des Conti-Business rücken.
Das Automotive-Geschäft hat bei Continental keine Zukunft: Der Konzern trennt sich von der Sparte, die es in den vergangenen Monaten und Jahren nicht geschafft hat, stabil profitabel zu wirtschaften. Und das, obwohl Conti seiner Automotive-Sparte in der jüngeren Vergangenheit immer wieder in besonderem Maße Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ. 2022 etwa erfolgte die Bündelung des gesamten Unternehmensbereichs in einer rechtlichen Einheit und auch die organisatorische Unabhängigkeit des Geschäftsfelds User Experience war in Vorbereitung. Flankiert wurden diese Schritte in den letzten Monaten durch die Ankündigung von Standortschließungen und einen breit angelegten Stellenabbau.
Zu den teilweise drastischen Schritten sah sich das Management aufgrund der wenig zufriedenstellenden Performance der Automotive-Division veranlasst. Zwar konnte Conti den Umsatz dieser Sparte im vergangenen Geschäftsjahr um 10,8 Prozent auf 20,3 Milliarden Euro steigern und auch das Auftragsvolumen anheben, doch verharrt die bereinigte EBIT-Marge im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Nach -0,3 Prozent im Jahr 2022 mit 1,9 Prozent 2023 zumindest wieder positiv, lag der Wert auch im zweiten Quartal dieses Jahres nur unwesentlich höher (2,7 Prozent). „Die von uns beschlossenen und konsequent umgesetzten Maßnahmen zur Kostenreduzierung greifen und haben dazu beigetragen, dass wir uns im Vergleich zum Auftaktquartal substanziell verbessert haben”, unterstrich Olaf Schick, Finanzvorstand von Continental, anlässlich der Veröffentlichung der Q2-Zahlern. Von den Margen im Bereich Tires (2023: 13,5 Prozent) und ContiTech (2023: 6,7 Prozent) ist Automotive jedoch weit entfernt. Für den geplanten Automotive-Börsengang dürfte sich die finanzielle Situation nicht nur aus Anlegersicht gerne noch verbessern. Ein weiterer Punkt also auf der für die kommenden Monate sicherlich nicht kurzen To-do-Liste des Conti-Managements.
Erste Schritte unternommen
Mit der angedachten Aufspaltung ist aufseiten der Conti-Verantwortlichen vor allem die Hoffnung auf mehr Flexibilität und eine schnellere Adaptionsfähigkeit verbunden. „In den vergangenen Monaten haben sich die Märkte und unsere Kunden insbesondere in der Automobilindustrie sehr dynamisch weiterentwickelt”, umriss CEO Nikolai Setzer Anfang August den Handlungsdruck für Continental. Eine gezieltere regionale Marktbearbeitung soll helfen, das schwächelnde Automotive-Geschäft in Schwung zu bringen. Mit Blick auf die unterschiedlich weit fortgeschrittene Antriebswende sowie die Automobilproduktion, die insbesondere in der für Conti so wichtigen Region Europa rückläufig war, erscheint ein dezentralerer Ansatz naheliegend.
Und auch wenn die finale Entscheidung erst nach einer Detailprüfung im vierten Quartal getroffen werden soll, hat Continental bereits erste Schritte hinsichtlich der geplanten Aufspaltung unternommen: Der bereits erwähnte Carve-out des des Geschäftsfelds User Experience wird auf absehbare Zeit zurückgestellt. Das Geschäftsfeld bleibt damit Teil der Automotive-Organisation und wird künftig von Pavel Prouza geleitet. Sein Vorgänger in dieser Position, Boris Mergell, steuert künftig das für Fahrsicherheits- und Fahrdynamiklösungen zuständige Geschäftsfeld „Safety and Motion“.
Unklare Folgen für die Mitarbeitenden
Angesichts vieler im Vorfeld einer Konzernaufspaltung noch zu klärender Punkte hat sich auch die Arbeitnehmervertretung der Continental AG zu Wort gemeldet. „Die Entscheidung von Continental, einen Spin-off des Automotive-Sektors zu prüfen, ist nach vielen Umwegen die letzte Ausfahrt vor der Sackgasse”, so die gemeinsame Mahnung von Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall und stellvertretende Conti-Aufsichtsratsvorsitzende bei Continental, Francesco Grioli, Mitglied des geschäftsführenden IGBCE-Hauptvorstands und des Conti-Aufsichtsrats, und Hasan Allak, Konzernbetriebsratsvorsitzender und Conti-Aufsichtsratsmitglied. Nach der Unabhängigkeit der Automotive-Sparte hätte diese ebenso wie die beiden im Konzern verbleibenden Einheiten der Reifendivision und ContiTech jeweils rund 100.000 Beschäftigte. Es gelte nun, diesen „so schnell wie möglich klare Perspektiven und belastbare Ziele aufzuzeigen”, heißt es seitens der Arbeitnehmervertreter weiter.
Nur mit diesen Voraussetzungen kann es gelingen, dass die Menschen innerhalb eines Konzerns bereit sind, so umfassende Veränderungen wie sie der Continental AG ins Haus stehen, mitzutragen. Dass es dafür seitens der Conti-Verantwortlichen noch einiges an Kommunikation und Erklärungen bedarf, zeigt ein Bericht der FAZ von Anfang August. Von den rund 100.000 Automotive-Beschäftigten arbeitet etwa ein Fünftel in Deutschland – und zwar überwiegend in Regensburg und Frankfurt. Der Artikel bringt entsprechend Frankfurt als künftigen Sitz der dann unabhängigen Automotive-Sparte ins Spiel, konstatiert aber zugleich, dass die Entscheidung dort „nicht nur Freude auslöst”. Ungeachtet der potenziellen Stärkung des Standortes bedürfe es klarer Investitionen und Stabilität für den langfristigen Erfolg des neuen Unternehmens. Eine solche Grundüberzeugung kann es angesichts der vielen Unklarheiten auch (noch) gar nicht geben. Es wird jedoch exemplarisch deutlich, an welchen Punkten die Conti-Verantwortlichen um Nikolai Setzer ansetzen müssen, um die Aussage, die Mitarbeitenden „im Rahmen der Detailprüfung fest im Blick” zu haben, mit Leben zu füllen.
Chancen und Baustellen
Mit dem Vorhaben ist für Continental die vielzitierte „Rückkehr zu den Wurzeln” verbunden. Die seit Jahren ertragreiche Reifendivision verbleibt in Verbindung mit der Industriesparte ContiTech im Conti-Konzern. Die Automotive-Sparte mit einem breiten Sortiment an Bremsen-, Sensoren- und Assistenzsystemlösungen wird abgespalten und an die Börse gebracht. Der Schritt ist zugleich das Eingeständnis eines Scheiterns, im Konzert der ganz großen Automobilzulieferer wird Conti in der neuen Form nicht mehr mitspielen. In der Riege der weltweit umsatzstärksten Automobilzuliefer rangierte Continental 2023 nach einer Untersuchung der Unternehmensberatung Berylls auf Platz fünf, nachdem Hyundai Mobis aus Korea im Laufe des vorigen Jahres vorbeigezogen war. Dass ein großer Umsatz ohne eine stabile Marge mittelfristig zu Problemen führt, macht Contis Automotive-Sparte mehr als deutlich. Insofern muss die Aufspaltung – und der damit verbundene Rückfall in dem Ranking – nicht zwangsläufig negative Folgen haben.
Erste Analysen von Banken und Wirtschaftsunternehmen sehen in einem separierten Conti-Konzern durchaus großes finanzielles Potenzial für beide Sparten. Dazu passt die Einschätzung des Restrukturierungsexperten Ralf Winzer, der in einem Interview mit der Wirtschaftswoche von „wenig Synergien zwischen den beiden Bereichen” sprach. Die Aussage verdeutlicht die Probleme der Continental AG in ihrer aktuellen Form. Winzer kann die Entscheidung zur Aufspaltung entsprechend nachvollziehen, schränkt im Gespräch mit der Wirtschaftswoche jedoch ein: „Ob das am Ende klappt, werden erst die nächsten Jahre zeigen.” Chancen sind ungeachtet der vielen Baustellen auf jeden Fall vorhanden.