Reifen für Elektrofahrzeuge

"Empfehlungen für das richtige Fahrverhalten sind zweifelsohne nützlich"

Thomas Michel PirelliFachmann in der Reifenentwicklung: Thomas Michel ist Chief Technical Officer bei Pirelli Deutschland.   Foto: Pirelli

Bei Reifenspezifikationen für Elektrofahrzeuge gilt es, den Zielkonflikt Nasshaftung-Rollwiderstand-Laufleistung in nochmal verschärfter Form auszubalancieren. Was sind hierbei die besonderen Herausforderungen in der Entwicklung?

Thomas Michel: Das Entwickeln von Reifen für Elektrofahrzeuge stellt Ingenieure vor spezielle Herausforderungen. Das Batterie-bedingt erhöhte Gewicht der Fahrzeuge führt zu größerem Verschleiß und einer höheren thermischen Belastung der Reifen. Gleichzeitig erzeugt das sofort verfügbare Drehmoment von Elektromotoren eine stärkere Beanspruchung der Reifenoberfläche, was die Nasshaftung beeinträchtigen kann. Zudem ist der Rollwiderstand so gering wie möglich zu halten, um die Reichweite zu maximieren, ohne die Sicherheit, insbesondere auf nassen Straßen, zu beeinträchtigen. Pirelli begegnet diesen Herausforderungen mit der Elect-Technologie, entwickelt speziell für Elektrofahrzeuge. Diese Technologie kombiniert innovative Gummimischungen und optimierte Reifenprofile, die trotz des niedrigen Rollwiderstands eine hervorragende Nasshaftung gewährleisten. Zudem sind die Reifenstrukturen verstärkt, um das zusätzliche Gewicht der Batterien zu tragen und das hohe Drehmoment sicher auf die Straße zu bringen. Dank Fortschritten in der Materialentwicklung und Virtualisierungs-Technologien kann Pirelli diese Balance kontinuierlich optimieren und Performance, Sicherheit und Effizienz in Einklang bringen​​.

Welche Ansatzpunkte gibt es, beim Kriterium Laufleistung ein Maximum herauszuholen? Welche konstruktions-technischen Mittel helfen bei der Optimierung?

Thomas Michel: Pirelli hat mehrere technische Lösungen entwickelt, die zusammen die innere Reibung und die Wärmeentwicklung im Reifen verringern und so zu einer höheren Laufleistung von Elektrofahrzeugen beitragen. Zu diesen Lösungen gehören Gummimischungen mit speziellen Polymeren und Füllstoffen, die den Abrieb reduzieren und die Beständigkeit gegenüber mechanischen Belastungen erhöhen. Hinzu kommt eine verstärkte Reifenstruktur mit Hochleistungs-Karkassen-Materialien und zusätzlichen Verstärkungsschichten, die dazu beiträgt, der erhöhten Belastung durch das Fahrzeuggewicht und das hohe Drehmoment standzuhalten; und ein optimiertes Laufflächendesign, das eine optimale Druckverteilung gewährleistet und den Verschleiß minimiert. 

Die Elect-Technologie, die speziell für Elektrofahrzeuge entwickelt wurde, nutzt diese Maßnahmen: Die verstärkte Struktur der Elect-Reifen sorgt dafür, dass die hohe Belastung durch das Fahrzeuggewicht sicher abgefangen wird. Darüber hinaus reduzieren spezielle Gummimischungen den Abrieb um bis zu 20 Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Reifen. Die optimierte Aufstandsfläche trägt zudem zu einer gleichmäßigeren Druckverteilung bei, was die Haltbarkeit weiter erhöht. Durch diese innovativen Ansätze hat Pirelli die Laufleistung von Reifen für Elektrofahrzeuge deutlich erhöht.

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Pirelli verzeichnet seit der Markteinführung in 2019 über 500 Homologationen für seine mit der Elect-Technologie ausgestatteten Reifen. Foto: Pirelli

Vermehrt tauchen Kundenerfahrungen auf, die von einer verminderten Laufleistung bei EV-Spezifikationen berichten. Wird man bei Elektrofahrzeugen künftig bereits nach etwa 20.000 Kilometern einen Reifenwechsel vornehmen müssen?

Thomas Michel: Elektrofahrzeuge können aufgrund ihres höheren Gewichts und ihres unmittelbaren Drehmoments einen schnelleren Verschleiß herkömmlicher Reifen verursachen, insbesondere bei aggressiver Fahrweise oder schlechter Reifenwartung und unregelmäßiger Reifendruckkontrolle. Die Elect-Technologie von Pirelli wurde entwickelt, um Reifen mit hoher Laufleistung für Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeuge anzubieten. Dank ihres geringen Rollwiderstands können diese Reifen bis zu 50 Kilometer mehr Reichweite bei einer gegebenen Batteriekapazität bieten, was zu potenziellen Einsparungen bei den Ladekosten von bis zu 150 Euro pro Jahr führt. Darüber hinaus verfügen die Pirelli-Elect-Reifen über innovative Mischungen für mehr Grip, um das hohe Drehmoment von Elektromotoren zu bewältigen, sowie über verstärkte Strukturen, um den Belastungen von Elektrofahrzeugen standzuhalten. Diese Elemente tragen dazu bei, den Reifenverschleiß um bis zu 20 Prozent zu reduzieren, was die Laufleistung von Reifen für Elektrofahrzeuge deutlich erhöht.

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Pirelli setzt in der Reifenentwicklung auf Simulationsmodelle und virtuelle Testläufe. Foto: Pirelli

Und was bedeutet dies potenziell für die Vermarktungsebene? Ist es auf Handelsseite sinnvoll, diese „Problematik“ direkt mit zu kommunizieren? Auch hinsichtlich beispielsweise der Fahrweise?

Thomas Michel: Eine transparente, informative und kundenorientierte Kommunikation ist immer ratsam. Pirelli empfiehlt daher, die spezifischen Eigenschaften von Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeugen und die daraus resultierenden Anforderungen an die Reifen hervorzuheben. Empfehlungen für das richtige Fahrverhalten, wie beispielsweise sanftes Beschleunigen und regelmäßige Reifenwartung, sind zweifelsohne nützlich und können den Kunden helfen, die maximale Laufleistung ihrer Reifen zu erreichen.

Lest unseren Artikel zum "Einflussfaktor Fahrstil".

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