Paul Englert über Grenzbereiche und Reifentests

“Reifen sind das Wichtigste an einem Auto”

Paul EnglertPaul Englert ist Spezialist für den Grenzbereich – auch mit Supersportlern.  Foto: Dino Eisele

Paul, Du bist Spezialist für den Grenzbereich. Ein Bereich, mit dem normale Autofahrer:innen im Idealfall nichts zu tun haben sollten, denn er bedeutet ja zumeist eine Gefahrensituation. Es ist der Bereich, wo sich Qualität und so etwas wie ein Premiumanspruch definiert – und deshalb ist er für unsere Branche so wichtig. Aber zunächst zu Dir: Wie bist Du zum Testfahren und dem Automobiljournalismus gekommen?

Paul Englert: Ich bin irgendwie in der Autobranche hängengeblieben, das war so nicht geplant. Ich hatte aber immer eine hohe Affinität zu Autos, habe Motorsport verfolgt, was auch familiär begründet war. Nach dem Abitur und dem Zivildienst wusste ich nicht so recht, was ich machen soll und dann habe ich mich für Philosophie, Geschichte und Sprachwissenschaften eingeschrieben. Aber ich habe nicht lange durchgehalten. In der Folge habe ich verschiedene Praktika im Medienbereich gemacht, weil mich das Schreiben und Sprechen interessiert hat.

Als Trainee in der Print-Redaktion bei der Auto Zeitung wurde mir dann ein Volontariat angeboten. In dieser zweijährigen Ausbildung zum Redakteur durfte ich meinen Kollegen Martin Urbanke zu Reifentests begleiten und ihm assistieren. Martin hat schnell gemerkt, dass ich am Lenkrad drehen kann und ein bisschen erzählen kann, was ich beim Fahren fühle und spüre. Und so kam es, dass er mich immer wieder mitnahm und mir mehr und mehr Verantwortung für den Reifentest übertrug. Ich muss sagen, das war die beste Chance meines Lebens, die ich in diesem speziellen Bereich bekommen konnte. Reifen sind ja bekanntlich das Wichtigste an einem Auto. Man kann das Auto über die Reifen komplett umkrempeln, es fahrbar machen oder auch unfahrbar.

Das ist interessant, und genau der Punkt, den Du für uns erklären kannst. Das Thema Reifen ist für normale Autofahrer:innen eigentlich eher unterrepräsentiert. Weil man diesen Grenzbereich selten kennenlernt. Reifen sind für den überwiegenden Teil der Menschen schwarz und rund und teuer. Aber dazu später mehr. Du hast schnell gemerkt, dass Du das kannst und der Grenzbereich dir Spaß macht?

Paul Englert: Genau, dass es Spaß macht und dass das Thema Reifen wirklich sehr komplex ist. Man muss auf sehr viele Dinge achten, gerade bei der Durchführung eines Tests, wo es immer sehr wichtig ist, dass alle Produkte unter möglichst gleichen Bedingungen verglichen werden. Man kann nicht den einen Reifen morgens bei 10 Grad testen und den anderen am Nachmittag bei 30 Grad. Man muss die Tests so gestalten, dass sie für alle Produkte fair sind. Daraus habe ich viel gelernt. Ich habe nicht mit den kurvigen Straßen angefangen, sondern mit den objektiven Einheiten – Nass- und Trockenbremsen sowie Aquaplaning. Das sind sehr konzentrierte Tests. Das ist sehr eintönig, man muss immer genau auf den Punkt fahren. Beim Bremsen auf nasser Fahrbahn zum Beispiel muss man immer in der gleichen Linie fahren. Wenn du 5 bis 10 cm von deiner Linie abweichst, dann hast du nicht mehr die Spur, die du gebremst hast und du hast ein abweichendes Ergebnis. Das heißt, wir nutzen eine spezielle Bremsspur, die vorbereitet und konditioniert ist. Man bremst dafür 10 bis 20 mal mit einem Reifen, der nicht im Test ist. Und dann bremst man die Testreifen exakt immer in dieser Spur, wie ein Roboter. Es gibt jetzt Lösungen von Reifenherstellern, die das in sogenannten Indoor-Tests automatisiert machen. Das ist natürlich viel besser als menschliche Leistung. Conti macht das beispielsweise in der AIBA (Anm: Automated Indoor Braking Analyzer). 

Bevor wir nun ins Detail gehen und über das Setting eines Reifentests sprechen – das Thema Reifen ist in der Öffentlichkeit unterbewertet. Wie viel technologischer Fortschritt in den letzten 10 bis 15 Jahren erreicht wurde, kann Laien nur schwer vermittelt werden. Warum ist der Reifen so bedeutsam?

Paul Englert: Der Grenzbereich ist in der Regel eine Notsituation. Wenn man wirklich eine Vollbremsung machen muss, wenn man ausweichen muss – wir kommen glücklicherweise selten in diese Situation. Aber wenn wir sie haben, sind die Reifen sehr wichtig. Wo “normale” Kunden große Unterschiede feststellen können, ist bei Nässe. Da trennt sich auch wirklich die Spreu vom Weizen. Es gibt Reifen, die sehr, sehr griffig sind. Diese sind zumeist auch etwas teurer. Das Gripniveau bei Produkten für den europäischen Markt ist in der Regel recht gut. Wir haben hier die versammelte Automobil-Elite mit Mercedes, Porsche, Audi, VW und BMW. Diese baut sehr dynamische Fahrzeuge, die auch Reifen viel abverlangen. Es gibt nicht nur dynamische Reifen ab Werk, sondern auch für den Ersatzmarkt. Zum Glück gibt es hier wirklich sehr hohe Anforderungen und viele Unfälle werden dadurch verhindert. 

Lass uns etwas tiefer in die Reifentests einsteigen. Diese sind sehr aufwändig, zeit- und kostenintensiv. Wie viel Vorbereitung braucht es?

Paul Englert: Ja, es braucht viel Vorlauf. Der Reifentest selbst, die Durchführung, ist nur ein kleiner Teil des Ganzen. Wir sind etwa drei bis vier Wochen im Jahr für verschiedene Sommer- und Winterreifentests auf der Straße und den Testgeländen. Es gibt aber viel Planung davor. Was wollen wir testen? Auf welchem Fahrzeug wollen wir es testen? Und dafür muss man Felgen und technisches Equipment organisieren. Es würde nicht funktionieren, wenn wir keine zuverlässigen Partner hätten. Nicht nur aus der Reifenindustrie, sondern auch aus der Automobil- und Zulieferindustrie. Wir haben ein paar Felgenhersteller, die mit uns zusammenarbeiten. Das ist wirklich großartig. Ohne sie würde es nicht funktionieren.

Wir gehen den Reifentest so an, dass wir fragen, welche Größe im Trend ist. Lange Zeit waren es immer dieselben. Jetzt im SUV- und Elektroauto-Bereich wird es ein bisschen komplizierter. Es gibt neue Dimensionen, auch Größen, die nicht so einfach zusammenpassen. Wir versuchen also immer, ein Testfahrzeug zu haben, das mit einer Reifendimension bestückt ist, die auf möglichst viele andere Fahrzeuge passt, damit sich möglichst viele Leser:innen angesprochen fühlen.

Ein Reifentest ist materialseitig sehr anspruchsvoll, da passiert immer etwas. Es ist nicht nur der Reifen, der an die Grenze gebracht wird. Und auch der Fahrer ist stark gefordert. Ich mache das zusammen mit Thiemo Fleck, der seit vielen Jahren die Reifentests bei der Motorpresse verantwortet. Wir wechseln uns in den einzelnen Disziplinen ab. Das spart Zeit und Energie. Meist haben wir nur eine Woche Zeit für einen Reifentest und alle Disziplinen. Ausgenommen ist zum Beispiel der Rollwiderstand, den wir von verschiedenen Reifenherstellern im Labor überprüfen lassen. Das können wir nicht selbst machen, das wird auf der Trommel getestet. 

Reifentests sind auch ein kostenintensives Spiel. Ihr benötigt die Produkte, Fahrzeuge, ein Testgelände und Mechaniker:innen. Auch dadurch seid ihr Getriebene in den Testzeiträumen, oder?

Paul Englert: Absolut. Wir sitzen von morgens bis abends im Auto. Abends machen wir die Auswertungen, schauen uns die Ergebnisse genauer an, um zu sehen, ob alles passt. Denn manchmal müssen Tests wiederholt werden, um im Urteil ganz sicher zu sein. Eine ganz wichtige Komponente ist natürlich, wo wir die Reifen testen. Und das tun wir ausschließlich auf Strecken, die für die Reifenentwicklung vorgesehen sind. Davon gibt es in Europa nicht viele. Manchmal sind wir bei Pirelli, manchmal bei Conti, manchmal bei Bridgestone. Wir brauchen spezielle Strecken, da sind wir auf die Unterstützung der Reifenindustrie angewiesen. Wir versuchen aber immer, unsere Tests mit unserer eigenen Messausrüstung durchzuführen, um völlig unabhängig zu sein. Wir nutzen also nur die Infrastruktur auf dem Testgelände. 

Ihr seid auf bestimmte Infrastrukturen angewiesen, die von Herstellern zur Verfügung gestellt werden. Das Thema Unabhängigkeit hast Du aber betont. Wie besorgt Ihr die Produkte?

Paul Englert: Es gibt verschiedene Prozedere. In meiner Zeit bei der Auto Zeitung haben wir mehrere Jahre lang die Reifen gekauft. Das war natürlich sehr kostenintensiv. Aber die Kollegen in Köln haben mittlerweile wieder umgestellt, lassen sich – wie wir bei Auto Motor und Sport –  die Reifen liefern und prüfen in einem Nachtest, ob die Leistung der getesteten Produkte mit dem übereinstimmt, was der Kunde auf dem Markt kaufen kann. Zum Beispiel haben wir ein paar Produkte im Test, die zu dem Zeitpunkt, an dem wir testen, noch nicht auf dem Markt erhältlich sind. Das heißt, wir wählen zum Beispiel im Winter einen Reifen, der eigentlich erst im Spätsommer auf den Markt kommt und für den Kunden also erst in der nächsten Saison erhältlich ist. Aber damit haben wir die neuesten Reifen bei uns und können dann den Kunden über die neuesten Reifen informieren. Und wie gesagt, wir testen und prüfen stets nach und machen auch publik, wenn ein gelieferter Testreifen und das im Handel verfügbare Produkt nicht die gleichen Leistungen zeigen. 

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Ok. Nun tiefer in die Details der Reifentests. Es gibt objektive Kriterien, die mit einem bestimmten Messinstrumentarium überprüft werden. Und es gibt den subjektiven Bereich, wo das sogenannte “Popometer” entscheidend ist. Welche Disziplinen sind subjektiv?

Paul Englert: Der Bereich Handling. Dabei beispielsweise das Fahren auf einem Rundkurs, entweder ein trockener oder ein nasser Rundkurs. Das sind in der Regel Reifenentwicklungsstrecken. Diese sind speziell so angelegt, dass möglichst viele Fahrmanöver möglich sind. Auch im Oval, wenn es eins gibt, zum Beispiel am Contidrom oder auch bei Bridgestone im EUPG. Dort kann man den freien Spurwechsel bei bestimmten Geschwindigkeiten überprüfen. Was passiert zum Beispiel, wenn ich bei 130 Stundenkilometern das Lenkrad einschlage? Oder was passiert bei einer höheren Geschwindigkeit, wenn ich spontan um 45 Grad lenke und vielleicht sogar vom Gas gehe? Habe ich einen Reifen, der das Auto übersteuern kann, das heißt, er bricht hinten aus, oder habe ich einen Reifen, der sehr souverän auf solche sogenannten Lastwechsel reagiert und das Fahrzeug selbst stabilisiert – das heißt, er bringt eine gewisse Seitenführung, so dass das Fahrzeug auch dann stabil bleibt, wenn ich am Lenkrad etwas mache, was ich nicht machen sollte, weil ich einen Unfall verhindern will.

Und objektive Disziplinen?

Paul Englert: Das klassische Bremsen auf nassem und trockenem Asphalt. Und Aquaplaning in Längsrichtung und auch in Querrichtung. Man fährt durch einen Kreis im Aquaplaning-Tank und schaut, wann der Grip abreißt und das Fahrzeug unter Kontrolle ist. Rollwiderstand und Abrollgeräusch sind auch sehr wichtige Kriterien, die wir aber objektiv verifizieren.

In der Automobilindustrie und auf Teststrecken taucht immer wieder der Begriff des “Popometers” auf. Wie trainiert man diese Sensibilität? Ist es vergleichbar mit so etwas wie Ballgefühl? 

Paul Englert: Es ist ein Handwerk, wie viele andere Dinge auch. Man kann dieses Feingefühl natürlich schulen, sollte aber ein gewisses Gefühl mitbringen. Wichtig bei allem ist, kein Material zu zerstören. Wir sind schon mit den Fahrzeugen unterwegs, wo auf dem Tacho auch mal eine 200 steht. Und wenn man abfliegt, dann macht das nicht nur viel kaputt, sondern kann auch wehtun. Das sollte also nicht passieren. Man sollte sich im Grenzbereich absolut sicher sein.

Und natürlich zählt für das Subjektive auch immer etwas Objektives mit. Das heißt, wir lassen immer eine Uhr mitlaufen. Die Handlingzeit ist immer ein Indikator dafür, wie griffig ein Reifen ist. Wenn er nicht griffig ist, kann er nicht schnell sein. Es gibt aber auch Reifen, die sind schnell und sehr dynamisch auf der Straße. Das bedeutet, vor allem bei Nässe, dass man eine lockerere Hinterachse hat. Als geübter Fahrer kann man sich das zu eigen machen, indem man das Auto früh gerade stellt. Man lässt die Hinterachse ein bisschen kommen, stellt das Auto gerade und dann ist man auf der Geraden wieder schnell. Das ist schön und schnell, aber nicht unbedingt sicher. Das bedeutet, dass Reifen wie diese eine Abwertung beim Thema Sicherheit bekommen. Sie sind zwar schnell, aber eben nicht 100 Prozent sicher. Aber es gibt Reifen, die sehr ausgewogen sind. Sie haben sehr wenig Untersteuern, sehr wenig Übersteuern. Mit ihnen kann man viele Dinge tun, die man in einer Notfallsituation tut, und sie bleiben sehr neutral, sehr stabil.

Und wie kommt man dahin, das zu lernen? Manche Reifentester kommen aus dem Motorsport, sind also sehr gute subjektive Reifenfahrer. Ich zwar nicht, aber ich bin immer viel Go-Kart gefahren, als ich jünger war. Da lernt man, ein gewisses Gefühl für das Auto zu entwickeln. Aber das ist natürlich nicht alles. Neben dem schnellen und sicheren Fahren braucht man auch Urteilsfähigkeit. Und da es wie gesagt ein Handwerk ist, muss man viel fahren und üben und sich auch mit Kollegen austauschen. Ich hatte immer gute Lehrer, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen, mit denen ich mich austauschen konnte und von denen ich lernte.

Ihr bewegt Euch beim Testen also immer an der Schnittstelle, wo so etwas wie Flow ensteht, Dinge intuitiv passieren und dort, wo Performance verifizierbar ist. Das heißt, man braucht eine gewisse Coolness in der Beurteilungsfähigkeit und einen scharfen Blick?

Paul Englert: Ja. Der Flow muss da sein. Beim Handling zum Beispiel, egal ob im Trockenen, im Nassen oder auf Schnee, fahren wir normalerweise etwa vier Runden. Und diese vier Runden oder drei dieser vier Runden müssen übereinstimmen. Sie sollten innerhalb von ein paar Zehntelsekunden liegen. Dann ist es in Ordnung. Dann ist es richtig. Die errechneten Mittelwerte fließen in die Auswertung ein. Wir fahren immer auch verschiedene Manöver. Die Eindrücke dieser speichere ich im Kopf ab, um sie direkt danach zu notieren. Wenn beispielsweise der nächste Reifensatz in der Werkstatt montiert wird. Es ist sehr wichtig, dass diese frischen Eindrücke nicht verloren gehen, denn normalerweise haben wir 10 verschiedene Reifen für so einen Reifentest. Da darf nichts durcheinander gehen. Manchmal ist es nicht einfach, die Reifen voneinander zu unterscheiden. Es gibt tatsächlich oft drei, vier, fünf Reifen, die in ihrer Leistung sehr nahe beieinander liegen. Das trifft auch auf den subjektiven Eindruck zu. Zum Glück muss ich nicht, wie ein professioneller Reifentester in der Industrie, verschiedene Spezifikationen eines Reifens voneinander trennen. Das ist dann die nächste Stufe des Reifentestens. 

Die Unterschiede im Premiumbereich sind manchmal so marginal, dass nur Profis wie Du sie herausfahren können. Kannst Du beschreiben, was Premium-Produkte ausmacht? 

Paul Englert: Der Premium-Reifen hat in keiner Disziplin eine wirkliche Schwäche. Das heißt, er ist gut auf allen Untergründen, nicht nur in Bezug auf die Leistung, sondern er rollt auch ziemlich leise und ist ziemlich effizient. Premium-Reifen sind Allrounder und schneiden in allen von uns abgefragten Kriterien gut ab. Geringer Rollwiderstand, hohe Sicherheitsreserven, das ist wesentlich. Dafür zahlt man natürlich immer ein paar Euro mehr. Die etwas billigeren Reifen fallen meist dadurch auf, weil sie bei Nässe nicht so stark sind. Ich bin kein Techniker oder Chemiker, aber die Gummimischung ist dafür essentiell. Die Premium-Hersteller verfügen über viele Jahrzehnte Erfahrung in der Reifenentwicklung. Und durch die enge Zusammenarbeit mit den Automobilherstellern, konnten sie ihre Arbeit stets verfeinern.

Wir sprachen nun über die Details von Reifentests, das Formale, wie man es tatsächlich macht und Eindrücke vermittelt. Du bist viel unterwegs für diese Tests. Was sind die Highlights deines Jobs? Was macht ihn für Dich so faszinierend?

Paul Englert: Ja, man sollte natürlich auch Spaß am Reisen haben, denn es geht oft ein bisschen weiter weg auf die Teststrecken. Ich muss sagen, es ist immer ein großes Vergnügen, auf einer abgesperrten Strecke zu fahren, weil man dort Dinge tun kann, die man im Straßenverkehr auf keinen Fall tun sollte. Im Straßenverkehr fahre ich sehr defensiv, da ich meinen Führerschein natürlich brauche.

Jede Teststrecke und jeder Testbereich ist auf seine Weise faszinierend und macht viel Spaß. Mein Highlight bei jedem Reifentest ist eigentlich das Nasshandling, denn man kommt mit einer eher niedrigen Geschwindigkeit in den Grenzbereich und kann viele verschiedene Dinge mit den Reifen machen. Man kann generell viel mehr mit dem Auto in Bereichen spielen, in denen es nicht so extrem schnell ist. Aus der Sicht des Testfahrers im Allgemeinen, denn ich fahre ja auch Fahrzeugtests und besuche Präsentationen, sind Rennstrecken immer eine Freude. 

Lass uns abschließend noch einen Blick darauf werfen, was die Mobilität der Zukunft schon jetzt sichtbar macht. Wir befinden uns in einer Transformationsphase. Das Thema Elektromobilität gewinnt an Bedeutung. Wir sprachen im vergangenen Jahr über Schwächen in der Nasshaftung bei EV-Spezifikationen. 

Paul Englert: Wir bekommen Testfahrzeuge in der Regel mit einer OE-Reifenspezifikation, die auf nasser Fahrbahn nicht so leistungsfähig ist. Wir haben den letzten Sommerreifentest beispielsweise auf einem Kia Sorento und auf einem Kia EV6 gefahren. Verglichen haben wir einen normalen Premium-Allround-Reifen und die Elektro-Spezifikation, und das innerhalb einer Marke. Wir haben festgestellt, dass die Allrounder etwas griffiger waren, etwas leistungsfähiger und etwas dynamischer. Aber auch die EV-Spezifikationen für den Ersatzmarkt bremsten auf nasser Fahrbahn sehr stark. Das hat uns durchaus überrascht, da auch die Rollwiderstandswerte gut waren. Im Premium-Bereich konnten wir also feststellen, dass die Reifenentwicklung in diesem Segment auf dem richtigen Weg ist. 

Im OE-Bereich ist das anders, weil der Autohersteller bestimmte Vorgaben macht. Er will natürlich noch das letzte Gramm CO2 einsparen oder irgendwie den letzten Kilometer an Reichweite bekommen. Da wird sicherlich hier und da ein Kompromiss gemacht. Ich sehe aber auch Verbesserungen bei den Erstausrüstungsreifen. In der Mischungstechnologie machen die Premiumhersteller erhebliche Fortschritte. 

Elektrofahrzeuge haben ein höheres Drehmoment und wesentlich mehr Gewicht, was zu mehr Verschleiß führt? Wie verändert sich die Reifenentwicklung? 

Paul Englert: Es ist extrem schwierig, die richtige Balance zu finden. Wir haben das hohe Drehmoment, das hohe Gewicht des Elektrofahrzeugs. Die Leistung ist extrem. Der Zielkonflikt Verschleiß-Rollwiderstand-Nasshaftung ist eine große Herausforderung für die Hersteller, aber ich denke, dass sie das in Zukunft immer besser in den Griff bekommen werden. 

Lieber Paul, ich danke Dir. Du hast uns tiefe Einblicke in die Welt der Reifentests ermöglicht – und was es ausmacht, im Grenzbereich zu fahren. 

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