16 Nachwuchskräfte haben im August dieses Jahres eine Ausbildung bei Michelin in Bad Kreuznach begonnen. Hat das Anlernen der Fachkräfte von morgen bei Michelin doch seit vielen Jahren einen festen Platz in der Unternehmenskultur, darf der Start des diesjährigen Jahrgangs gleichwohl auch als weiteres Bekenntnis zum Standort verstanden werden. Ohnehin hatten die Verantwortlichen im Zuge der Restrukturierung der deutschen Produktionsstandorte jedoch stets die „strategische Bedeutung” von Bad Kreuznach betont. Angesichts mannigfacher Meldungen aus der Branche über einen sich verschärfenden Wettbewerb, Konkurrenz aus Ländern mit niedrigeren Produktionskosten und darauf folgenden Produktionsverlagerungen ist eine solche Vergewisserung der Relevanz des Standorts sicherlich auch für die örtlichen Belegschaft ein wohltuendes Signal.
Für Michelin ist die eigene Ausbildung darüber hinaus auch schlicht eine Notwendigkeit, um Arbeitskräfte frühzeitig an das Unternehmen zu binden. Aktuell sind es rund 1.400 Beschäftigte, die in Bad Kreuznach ihren Dienst versehen. Zugänge von anderen Michelin-Standorten, die im Zuge der Restrukturierung geschlossen respektive verkleinert werden, hat es – vornehmlich aufgrund der Distanz – kaum gegeben, der regionale Arbeitsmarkt ist zudem ferner von überschaubarer Größe.
Die Investitionen in den eigenen Nachwuchs wollen die Michelin-Verantwortlichen zugleich als Ausdruck der mittelfristigen Konzernstrategie – dem sogenannten „All-Sustainable”-Ansatz – verstanden wissen. Künftige Geschäftstätigkeiten von Michelin fußen auf den Säulen People, Profit und Planet und sollen im Zusammenspiel dieser Felder für eine nachhaltige und zugleich profitable Konzernzukunft sorgen. Ein zentraler Baustein bleibt dabei auch die Fertigung hierzulande, wie Maria Röttger, President und CEO der Region Michelin Europa Nord, betont: „Produktion in Europa ergibt absolut Sinn und wir sind auch in der Lage, in einer wettbewerbsfähigen Art und Weise zu produzieren. Dafür ist Bad Kreuznach das beste Beispiel!”
Tradition und Zukunft in Bad Kreuznach
So erfährt Bad Kreuznach im Zuge der Restrukturierung besondere Aufmerksamkeit und finanzielle Zuwendungen. Neben einer Erweiterung ist auch eine Modernisierung der Anlagen geplant, obwohl das laut Standortleiter Guilhem Vogel nur bedingt notwendig war: „Durch den hohen OE-Anteil unserer hier produzierten Reifen und die Anforderungen der Automobilhersteller ist Bad Kreuznach bereits eines der modernsten Werke von Michelin.” Aktuell halten sich die Anteile an Reifen für die Erstausrüstung und für den Ersatzmarkt in Bad Kreuznach in etwa die Waage. Darüber hinaus werden hier in Rheinland-Pfalz auch die dafür notwendigen Mischungen sowie Cordlagen gefertigt. Knapp 90 Prozent der benötigten Mischungen werden vor Ort hergestellt, wobei teilweise auch andere Standorte mitversorgt werden. Die jährliche Produktionskapazität des 1966 eröffneten Werkes beträgt rund 8,2 Millionen Reifen in Abmessungen von 15 bis 20 Zoll. Eine zentrale Bedeutung – vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht – haben für Michelin wie auch für andere Premiumhersteller die Reifengrößen ab 18 Zoll aufwärts, wobei laut Guilhem Vogel auch die kleineren Größen „essentiell sind, um die komplette Range abdecken zu können”.
Die angesprochene Modernität und die konsequente Weiterentwicklung des Standorts Bad Kreuznach – die sich unter anderem auch der KI-gestützten Reifeninspektionsanlage Iris2 erkennen lässt – repräsentieren einen von zwei Bausteinen, die für die Zukunft des Standorts Deutschland und Europa substanziell sind. „Innovation und Nachhaltigkeit sind entscheidend”, ist Maria Röttger überzeugt. In beiden Feldern gelte es für Michelin, Vorreiter zu sein. Mit jährlichen F&E-Aufwendungen von rund 1,2 Milliarden Euro wird dieser „Pionier-Anspruch” deutlich. Und auch in puncto Nachhaltigkeit ist der Konzern eifrig bemüht, sein vielfältiges Engagement zu kommunizieren. Brancheninterne Reichweite generierte Michelin insbesondere mit seiner Long-Lasting-Performance-Strategie respektive mit dem Slogan „Performance Made to Last”, die sichere Reifen bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern versprechen. Würden alle Reifen entsprechend lange gefahren, könnten laut Michelin-Berechnungen jedes Jahr europaweit rund 128 Millionen Altreifen eingespart werden.
Wie Michelin Nachhaltigkeit denkt
Und auch beim Thema Reifenabrieb will Michelin Verbesserungen erzielen. Zwar bescheinigt eine ADAC-Untersuchung aus dem Jahr 2022 den Profilen des französischen Herstellers in dieser Hinsicht durchaus eine Führungsposition, doch will der Konzern – auch mit Blick auf die Euro-7-Norm – weiter an diesem Aspekt arbeiten. All diese Aspekte zahlen auf die Nachhaltigkeit eines Reifens ein, die Michelin mittels einer Lebenszyklusanalyse – Life Cycle Assessment (LCA) – bewerten will. Diese berücksichtigt insgesamt 16 verschiedene Kriterien. Maria Röttger erläutert: „Nur wenn wir Nachhaltigkeit über alle Phasen eines Reifens konsequent mitdenken, können wir den nächsten großen Schritt in Richtung einer nachhaltigeren Mobilität machen. Bis 2030 wird der Anteil biologisch erzeugter oder recycelter Materialien in unseren Reifen voraussichtlich 40 Prozent erreichen, bis 2050 sollen es 100 Prozent sein.“ Dafür hat der Reifenhersteller für sich auch eine eigene, besonders strenge Definition solcher Materialien aufgesetzt und arbeitet zudem mit verschiedenen Spezialisten und Start-ups in dieser Richtung zusammen. Ein Ansatzpunkt ist etwa die Nutzung von wiedergewonnenem Ruß (recovered Carbon Black, rCB), zudem setzt Michelin auch auf Orangenschalen, Sonnenblumenöl oder recycelte PET-Flaschen.
Wie der Nachhaltigkeitsgedanke auch in der Produktion Einzug halten kann, wird ebenfalls am Werk in Bad Kreuznach ersichtlich. Dieses ist nach Aussage von Guilhem Vogel eines der ökologischsten Michelin-Werke, was unter anderem mit dem forcierten Einsatz von Solarenergie zu tun hat. Erst in diesem Sommer wurde die PV-Anlage auf dem Fabrikdach abermals aufgestockt. Maria Röttger führt diesbezüglich aus: „Die Reifenproduktion ist nach wie vor sehr energieintensiv. Wir haben daher in den vergangenen Jahren massiv in Photovoltaik investiert, und einige Standorte wie Bad Kreuznach stellen gerade auf elektrische Vulkanisationspressen um. Diese sind rund 90 Prozent sparsamer als die herkömmliche Technik. Bis 2050 sollen dann alle Michelin-Werke klimaneutral produzieren und etwa ihren Wasserbedarf unabhängig von öffentlichen Wassernetzen decken.“
Nachhaltiger Profit
Den größten Einfluss auf die reale Nachhaltigkeit eines Reifens hat jedoch sein tatsächlicher Gebrauch. Nach einer Michelin-Analyse entstehen über 80 Prozent der Emissionen eines Reifens in der Zeit, in der er an einem Auto montiert ist – und das unabhängig von der Antriebsart. Relevante Faktoren sind bei dieser Betrachtung neben der Langlebigkeit des Produkts vor allem sein Rollwiderstand sowie der Abrieb. Speziell bei letztgenanntem Punkt sieht Michelin Chancen – sowohl mit Blick auf mehr Nachhaltigkeit in der Reifenindustrie als auch hinsichtlich der eigenen Positionierung gegenüber dem Wettbewerb.
Aus diesem Grund setzt sich der Reifenhersteller für eine weltweite Regulierung ein, die Reifen mit einem zu hohen Abrieb verbietet. Eine Gegenüberstellung basierend auf eigenen Berechnungen verdeutlicht das Potenzial: Demnach produziert ein Satz des Michelin CrossClimate 2 bei einer Fahrleistung von 20.000 Kilometern pro Jahr etwa 1,5 Kilogramm Reifenabrieb. Dies sei weniger als halb so viel wie der Branchendurchschnitt (3,5 Kilogramm) und nur etwa ein Fünftel dessen, was die in dieser Hinsicht schlechtesten Reifen verursachen (8 Kilogramm). Als sicherlich willkommener Nebeneffekt wären mit den Bemühungen abseits der Stärkung der eigenen Marke auch potenzielle Hindernisse für – aus welchen Gründen auch immer – beim Thema Nachhaltigkeit noch weniger weit fortgeschrittene Reifenhersteller verbunden.
Parallel dazu gibt es jedoch noch erheblichen Nachholbedarf was die Relevanz des Aspektes nachhaltiger Reifen auf Verbraucherseite angeht. Eine aktuelle Umfrage von Civey im Auftrag von Michelin offenbart, dass die überwiegende Mehrheit der rund 2.500 Befragten (80,4 Prozent) noch nie von Reifen mit nachhaltigen Materialien gehört haben. Unabhängig vom fehlenden Wissen um entsprechende Produkte ergab die Studie auch, dass Nachhaltigkeit beim Pkw-Reifenkauf (noch) kein echtes Kriterium ist. Gefragt nach den drei wichtigsten Kriterien landete Nachhaltigkeit mit nur 4,9 Prozent weit hinter Aspekten wie Sicherheit (59,4 Prozent), Preis (57,5 Prozent) und Langlebigkeit (42,1 Prozent). Für Maria Röttger steht fest: „Für die Reifenindustrie ist das eine Chance, die Verbraucher*innen beim Thema Nachhaltigkeit von Reifen noch besser mitzunehmen und aufzuklären.“ Zugleich zeigt sich, dass auch für Michelin noch einiges an Arbeit notwendig ist, damit Nachhaltigkeit tatsächlich zu einem Distinktionsmerkmal wird.