Abfallrecycling à la Pyrum
Mehr Kreislaufwirtschaft wagen
Die Pyrum Innovations AG ist bemüht, eine europaweite Verwertungskette für Altreifen aufzubauen. Langfristige Lieferverträge für die Pyrolyseprodukte zeugen vom Vertrauen großer Industrieakteure in die Technologie. Dabei schlummert laut CEO Pascal Klein noch großes Potenzial in der Pyrolyse: Pyrum hat bereits weitere Abfälle im Blick, für die ein Wertstoffkreislauf realisiert werden soll.
„Nichts ist so mächtig, wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist” – dieser Ausspruch wird dem französischen Schriftsteller Victor Hugo zugeschrieben. Überwiegend auf die Wirkmächtigkeit politischer oder sozialer Konzepte bezogen, lässt sich mit dem Zitat auch ganz wunderbar die Entwicklung der Pyrum Innovations AG in den letzten Jahren nachvollziehen. Und wie das bei guten Ideen häufig der Fall ist, ist auch die Idee von Pyrum – wenn man die ausgefeilte und über Jahre erprobte Technologie so nennen mag – zumindest in der Theorie überaus einfach. „Unsere Technologie kann eigentlich so gut wie jedes Polymer, also jeden Kunststoff, wieder in das zurückverwandeln, was es mal war, nämlich Öl. Also wir nehmen heute Reifen und machen simpel gesprochen daraus wieder Öl und Ruß, woraus wieder Reifen gemacht werden und andere Kunststoffe, die uns im täglichen Leben umgeben”, bringt es Pyrum-CEO im Podcast mit unserer Redaktion auf den Punkt.
Das ist freilich nur eine Umschreibung für das hochkomplexe Verfahren, für das die Reifen erst zerkleinert und dann in einem Reaktor “gekocht” werden. Für den chemischen Prozess ist unter anderem eine exakte Temperatur im Reaktorinneren nötig. Vor dem “Kochen” werden zudem die Stahl- und Textilbestandteile separiert und an entsprechende Branchenakteure weitergegeben. Zahllose Versuchsreihen und Probefahrten waren notwendig, um den Vorgang in seiner heutigen Form zu entwickeln. „Es hat fast 15 Jahre gedauert, die Technik auf die Straße zu bringen, dass es auch richtig funktioniert”, blickt Pascal Klein zurück. Dass es so lange gedauert hat, betrachtet der CEO heute durchaus als positiv. „Wir sind zum richtigen Zeitpunkt fertig geworden. Als wir 2008 mit Pyrum angefangen haben, wollten wir binnen zwei, drei Jahren mit einer fertigen Technologie die Welt revolutionieren. Mit dem Wissen, das wir heute haben, würde ich sagen, wir wären viel zu früh gewesen und wären am langen Arm verhungert, wie man so schön sagt.” Wie bereits Victor Hugo erkannte, spielt für den Erfolg einer Idee – im Falle von Pyrum für den Erfolg einer Business-Idee – das Timing eine zentrale Rolle.
Altreifen-Ausblick
Für Pyrum sind es eine ganze Reihe von Faktoren, die sich aktuell positiv auswirken. Einer davon ist etwa der Antriebswandel in der Automobilindustrie. „Die Elektromobilität frisst Reifen ohne Ende. Also Elektroautos mögen es Reifen zu verschwenden”, konstatiert Pascal Klein. Auch der zunehmende Güterverkehr sorgt für ein konstant hohes Level an anfallenden Altreifen. Parallel dazu verlieren alternative Verwertungsmöglichkeiten wie die Verbrennung in Zementwerken oder die Nutzung von Gummigranulat aus Altreifen für Spielplatzböden – zum Teil auch durch geänderte rechtliche Vorgaben – an Bedeutung. „Es spielt uns vieles in die Karten im Moment”, bilanziert Pascal Klein. Dazu zählt sicherlich auch die Tatsache, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeit von anderen Ländern reduzieren wollen. Bei diesen Bemühungen steht mit Russland einer der Hauptlieferanten für Industrieruß im Fokus.
Nach Pyrum-Berechnungen fallen jedes Jahr weltweit rund 31 Millionen Tonnen Altreifen an. Für ein chemisches Recycling, wie es mit dem Pyrum-Verfahren möglich ist, stehen von dieser Menge knapp zehn Prozent zur Verfügung. Bis 2030 könnte sich dieser Wert auf rund 88 Prozent erhöhen. Um diese Altreifenmengen verwerten zu können, müssen jedoch zunächst die hiesigen Kapazitäten deutlich ausgebaut werden. Gelingt das, könnte mittelfristig auch der Export von Altreifen in Länder wie die Türkei oder Indien verboten werden. Interessengemeinschaften wie AZuR oder ZARE fordern ein solches Verbot schon lange.
Kapazitäten im Ausbau
Der Ausbau der eigenen Verwertungsmöglichkeiten ist auch eine zentrale Aufgabe der Pyrum innovations AG in den kommenden Jahren. Das ist nötig, um die langfristigen Lieferverträge – wie sie mit dem Fahrradreifenhersteller Schwalbe und Continental für recovered Carbon Black (rCB) sowie mit der BASF für Pyrolyseöl bestehen – überhaupt bedienen zu können. „Im Moment hängt alles rCB, was wir an Schwalbe und an Continental liefern, von einem Reaktor und einer Mahl- und Pelletieranlage in Dillingen ab. Wenn die steht, müssen die aufhören”, so Pascal Klein.
Am Pyrum-Hauptsitz in Dillingen laufen daher bereits Testfahrten mit den beiden neuen Reaktoren TAD 2 und TAD 3. Im Vollbetrieb sollen beide Linien jeweils rund eine Tonne Altreifen pro Stunde recyceln können. Das ergibt rund 700 bis 750 Kilogramm Gummigranulat pro Stunde. Aktuell laufen beide Reaktoren noch mit 80 bis 85 Prozent Leistung und werden langsam hochgefahren. Reaktor Nummer 1, der Prototyp, läuft seit Mai 2020 im 24/7-Betrieb, erreicht aber nur knapp 60 Prozent des Durchsatzes, den die beiden neuen Linien liefern sollen. Parallel dazu baut der Recycling-Spezialist auch in Perl-Besch ein weiteres eigenes Werk. Gerodet ist der Standort bereits, noch in diesem Jahr soll auch der offizielle Baubeginn erfolgen. Fertig ist die Anlage dann planmäßig Ende 2025 respektive Anfang 2026, womit die Altreifen-Verwertungskapazität von Pyrum um weitere 20.000 Tonnen jährlich steigt.
Neben gänzlich in Eigenregie betriebenen Werken kooperiert der Recycling- Spezialist mit Projektpartnern in ganz Europa beim Bau weiterer Anlagen. Dabei fungiert Pyrum als Mitgesellschafter und unterstützt lokale Akteure bei der Erstellung von Genehmigungsunterlagen sowie bei der Suche nach Abnehmern der recycelten Produkte. „Dadurch, dass wir als Technologie-Eigentümer bei den Projekten mit im Boot sind, haben wir ein höchsteigenes Interesse, dass das Werk auch läuft”, sagt Pascal Klein.
Derartige Projekte entstehen aktuell unter anderem in Tschechien, Schweden, Griechenland und England sowie hierzulande etwa in Bremen. Außerhalb Europas hält sich Pyrum dagegen noch zurück, wie Pascal Klein berichtet. Zwar ist das Pyrum-Team inzwischen auf rund 100 Beschäftigte angewachsen, doch Projekte in Asien oder jenseits des Atlantiks seien mit dieser Personalstruktur noch nicht realisierbar. „Wenn wir jetzt anfangen, überall auf der Welt Werke zu bauen, besteht die Gefahr, dass wir uns schlicht und ergreifend verzetteln”, so Klein. Entsprechende Anfragen würden „freundlich auf in zwei bis drei Jahren vertröstet”. Unabhängig von wo Anfragen kommen, ist das Thema Geld ein überaus relevanter Faktor. „Mit nur 10.000 Euro Eigenkapital wird so ein Projekt nichts”, betont Klein.
Finanzen und weitere Pyrolysepläne
Auch mit Blick auf die Pyrum-eigenen Aktivitäten kommt dem Thema Finanzen eine übergeordnete Rolle zu. Trotz leichter Umsatzzuwächse im vergangenen Geschäftsjahr schreibt der Konzern aktuell noch rote Zahlen. Das hat vornehmlich mit den Kosten für den Ausbau des Anlagennetzwerks sowie dem entsprechenden Personalzuwachs zu tun. Vor allem mit Blick auf das Werk in Perl-Besch sind die Verantwortlichen jedoch zuversichtlich, in absehbarer Zeit schwarze Zahlen zu erzielen. Nach der durchaus schwierigen Anfangszeit – Details hierzu hört ihr im Podcast – wäre das für Klein und seine Mitarbeitenden ein bedeutender Schritt. Essentiell war in dieser Zeit vor allem der stete Glaube Kleins an die Idee sowie seine Motivation, neue Wege zu gehen: „Wenn es hieß: 'Geht nicht!', hat mich das immer angespornt, es dann gerade doch möglich zu machen.”
In finanzieller Hinsicht von überragender Bedeutung sind für Pyrum auch die strategischen Partnerschaften mit Continental sowie mit der BASF. Speziell das Engagement des Chemieriesen aus Ludwigshafen sowie dessen Know-how stuft Klein als bedeutend ein: „Wir haben quasi einen großen Bruder, der auch auf uns aufpasst und den wir alle möglichen Dinge fragen können.” Auch beim Ausbau der Verwertungskapazität unterstützt die BASF Pyrum im großen Stil. „Wir brauchen jetzt für die nächste Etappe, d.h. die nächsten vier, fünf Werke zu finanzieren, 100 Millionen Euro. Für die Eigenkapitalanteile und um unsere Beteiligung an den Werken darstellen zu können. Und die BASF hat gesagt, sie geben uns die Hälfte”, berichtet Klein. Die weiteren 50 Millionen Euro zu besorgen, sei nun einer der wesentlichen Aufträge der näheren Zukunft. Dabei helfen könnten weitere langfristige Abnahmeverträge für die Pyrolyseprodukte wie der jüngst verkündete mit Continental. Entsprechende Verhandlungen stehen aktuell ebenfalls an.
Und trotz dieser umfangreichen To-Do-Liste laufen bei Pyrum bereits eine Reihe weiterer Tests, um das eigene Geschäftsmodell weiter zu diversifizieren. Potenziale sehen die Verantwortlichen etwa bei dem bei der Pyrolyse entstehenden Gas, das aktuell in einem angeschlossenen Blockheizkraftwerk verstromt wird. Dieses enthält rund ein Drittel Wasserstoff, der in verschiedenen Anwendungsfällen der Neuen Mobilität stark gefragt ist. Auch an einer Verbesserung der rCB-Qualität wird geforscht, während perspektivisch zudem weitere Abfallstoffe wie kohlefaserverstärkte Kunststoffe oder Polyurethan mit der Pyrum-Technologie recycelt werden könnten. Pascal Klein unterstreicht: „Wir haben das Wort Innovations nicht im Namen, weil wir es nicht nutzen. Von daher wollen wir natürlich auch weiter Innovationen voranbringen.” Die Zeit für neue Konzepte und Ideen im Bereich der Kreislaufwirtschaft ist auf jeden Fall reif.