Recycling

Netzwerke für die Reifen-Kreislaufwirtschaft

Christina Guth ZARE AZURUmtriebig hinsichtlich einer besseren Reifen-Kreislaufwirtschaft: Christina Guth.  Foto: CGW

Im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft sollen Materialien und Stoffe so eingesetzt werden, dass sie über einen möglichst langen Zeitraum in Produkten Verwendung finden. Sie sollen für neue Produktionsprozesse zurückgewonnen werden. Im Falle von Reifen sind die Möglichkeiten vielfältig. “Es macht einfach Sinn, darüber nachzudenken, wie man Reifen sinnvoll weiternutzen kann, da sie ein ‘First-Use’-Produkt sind. Nur etwa 15 Prozent, nämlich nur das Profil werden verbraucht”, erläutert Christina Guth. Guth ist Geschäftsführerin der CGW GmbH und als solche maßgeblich für die Koordination der Aktivitäten der Initiativen ZARE und AZuR verantwortlich. ZARE ist die im Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. organisierte Arbeitsgemeinschaft zertifizierter Altreifen-Entsorger. Die Allianz Zukunft Reifen (AZuR) setzt sich für eine klimafreundliche Reifen-Kreislaufwirtschaft in Europa ein. “Neureifen sollen möglichst nachhaltig hergestellt, Altreifen durch Runderneuerung, Reparatur oder Recycling im Wertstoff-Kreislauf gehalten werden”, so der formulierte Anspruch hinter dem AZuR-Wirken. Bei Christina Guth und ihrem Team laufen alle Fäden zusammen. 

AZuR-Partnertreffen in Krefeld

Die Fäden wurden mittlerweile zu dicken Handlungssträngen geflochten. Regelmäßig initiieren AZuR und ZARE substanzielle Netzwerkreffen, wie Mitte April das AZuR-Partnertreffen in Krefeld. Als Gastgeber fungierte die Messer SE & Co. KGaA, auf deren Betriebsgelände Vertreterinnen und Vertreter aus Reifenindustrie, Handel, Recycling, Runderneuerung, von Verbänden und Universitäten sowie in der Branche aktiven Chemieunternehmen zusammenkamen. Das geschnürte Programm verdeutlichte die Vielfalt an Möglichkeiten, das Produkt Reifen nachhaltiger zu produzieren und zu vermarkten. Die Zukunft der zirkulären Wertschöpfung, die stoffliche Verwertung von Reifen, das chemische Recycling, kryogenes Feinmahlen von Elastomeren oder das zweite Leben in der Runderneuerung lauteten die Themen.

Reifen sind nicht zu substituieren, sie stellen die Verbindung von Fahrzeug zur Straße her und sind damit wesentlicher Teil der individuellen und gewerblichen Mobilität. Wie sie in einer konsistenten Kreislaufwirtschaft möglichst nachhaltig verwendet werden, darüber tauschen sich im AZuR-Netzwerk über 70 Partner aus Industrie, Handel und Wissenschaft aus. Die Initiative bündelt das Know-how und das Engagement der Player, die in ihrer organisierten Gesamtheit sämtliche Segmente der Tire Circular Economy abdecken. Im interdisziplinären Teamwork sollen neue Lösungen für einen ökologisch wie ökonomisch überlegenen Reifen-Kreislauf entwickelt werden. Die Entsorgung oder Weiterverwertung von Altreifen ist ein für die Automobilwirtschaft zentrales Herausforderungsfeld. Hierzulande fallen jährlich rund 650.000 Tonnen Altreifen an. Sie werden stofflich, chemisch und thermisch verwertet, recycelt, runderneuert, exportiert und manchmal auch illegal in der Landschaft abgeladen. Letzteres muss unbedingt verhindert werden, ebenso wie der lange umfänglich praktizierte Export von Reifenabfällen. “Dort wo die Reifen anfallen, sollen sie bitte auch recycelt werden!”, fordert Christina Guth. 

Vorbildbranche für Recycling

“Ich glaube, dass wir durchaus auch ein wenig Vorbildbranche für Recycling sein können. Wir haben in der stofflichen Verwertung schon einen sehr hohen Anteil. Und auch in der Pyrolyse verzeichnen wir große Fortschritte”, berichtet Christina Guth. Die Pyrum Innovations AG ist eines der Vorzeige-Unternehmen, das in den vergangenen Jahren für einen technologischen Schub diesbezüglich gesorgt hat, Reifen quasi wieder in ihre Ursprungsbestandteile aufzulösen und wieder nutzbar zu machen. Trotz zahlreicher Impulse und neuer Recycling-Ansätze bleibt der Handlungsbedarf allerdings riesig. Und je mehr Akteure der Branche sich engagieren, desto größer der Impact. 

Image-Komponente knacken

Auch das Feld der Runderneuerung ist bei weitem nicht ausgeschöpft. “Wir versuchen in die Branche hinein zu motivieren, dass der Reifen einen zweiten Wiederverwendungsweg findet. Bis in die 60er Jahre wurden die Altreifen mehrheitlich exportiert. Dann gab es ein Deponieverbot und dann entlang der Entwicklung in Deutschland mit dem Bauboom in den 70er, 80er Jahren waren die Reifen in Zementwerken sehr begehrt, als Sekundärbrennstoff", blickt Guth zurück. Die Reifenrunderneuerung bezeichnet Guth als die Königsklasse der Wiederverwertung. Im Pkw-Bereich spielt sie aber im Moment in Europa kaum eine Rolle, das war in zurückliegenden Zeiten mal anders. Im Pkw-Bereich ist nach Aussage von Christina Guth eine große Image-Komponente zu knacken. Im Lkw-Bereich und Commercial-Bereich sieht die Situation anders aus. Hier liegt der Anteil Runderneuerter im Markt laut Guth heute bei knapp 30 Prozent.

Der geförderte interdisziplinäre Austausch und die Adressierung politischer Handlungsträger hilft, die Sensibilität für das Thema Kreislaufwirtschaft zu schärfen. Unterstützend wirkt auch wissenschaftliche Expertise. Die ZARE- und AZuR-Verantwortlichen haben bereits mit Beginn der Initiativen Forscherinnen und Forscher mit ins Boot geholt. “Von Anfang an war es uns wichtig, auch die Fördermittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu nutzen. Da war von Anfang an die Aufforderung oder der Wunsch zu sagen, lasst bitte nicht nur die Unternehmen zusammen agieren in so einem Netzwerk, sondern holt die Hochschulen dazu. Und das haben wir von Anfang an gemacht. Wir haben heute 11 Hochschulen oder Universitäten integriert”, so Guth. 

Es gilt, das Verantwortungsbewusstsein weiter zu schärfen. Auf Seiten der großen Industrie-Unternehmen ist dieses bereits gut ausgeprägt. Bei den kleinen Betrieben im Kfz-Gewerbe besteht allerdings noch erheblicher Informationsbedarf, besonders hinsichtlich der fachgerechten Entsorgung. Christina Guth führt aus: “In den Kleinbetrieben wird natürlich sehr auf die Kosten geschaut. Wie kann ich billigst entsorgen? Und leider ist es so, dass Branchen, speziell im Abfallbereich, auch schwarze Schafe beherbergen. Und da versuchen wir gegenüber der Branche, das Verantwortungsgefühl zu stärken, mit diesen nicht zu kooperieren.” 

ZARE und AZuR zeigen als Netzwerk-Initiativen für eine bessere Reifen-Kreislaufwirtschaft Präsenz auf zahlreichen Messen und Nachhaltigkeits-Foren. So auf Branchenevents wie The Tire Cologne oder der Tire Technology Expo, gleichzeitig aber auch auf der “Woche der Umwelt” in Berlin. Der Informationsbedarf nimmt nicht ab, Netzwerk-Koordinatorin Christina Guth und ihr Team sorgen dafür, dass Interessen gebündelt und zielgerichtet formuliert werden. Final stellt sie Automotive Insights die Frage: “Schätzen Sie mal, wie viel an Materialien aktuell branchenübergreifend recycelt werden? Und ist es mehr wie 2020 oder weniger?”. Grübeln, Stille auf Seite des Redakteurs. Guth löst auf: “7 Prozent. Und vor zwei Jahren waren es noch 9 Prozent. Im Vergleich dazu ist die Reifenbranche vorbildlich. Ich würde mal sagen, wir recyceln sicherlich zwischen 50 und 60 Prozent, was aber immer noch nicht ausreichend ist. 100 Prozent ist das Ziel!”

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