Luftlos in den Markt

Neue Reifenkonzepte

Michelins Hauptzielmarkt für den Uptis-Prototyp sind Kleintransporter-Flotten   Foto: Michelin

Von Kay Lehmkuhl

Luftlosigkeit bei einem Reifen bedeutete bislang immer: die Fahrt ist hier zu Ende. Aber die Reifenwelt ist in einem stetigen Fluss der Transformation, die Innovationskraft der Branche hat stets den Fortbestand gesichert. Das Konzept eines luftlosen Reifens könnte eine weitere entscheidende Wegmarke in der Geschichte der Reifenindustrie werden. Einige Akteure haben in den letzten Jahren Konzepte auf einer der zahlreichen Messen im Automotive-Sektor präsentiert. Marktreife wurde bisher nicht erreicht. Im intensiven Praxiseinsatz befindet sich aber das Konzept des französische Reifenriesen Michelin. Das Profil Uptis wird bei rund 50 Fahrzeuge von DHL Express bis Ende 2023 im Einsatzgebiet Singapur und seit jüngster Zeit auch auf 40 Transportern des französischen Paketdienstleisters La Poste erprobt.

Reifen und Felge verschmelzen

Bereits im Jahr 2020 konnten ausgewählte Journalisten den Uptis als Konzeptreifen fahren. Uptis steht für "Unique Puncture-proof Tire System". Die ursprünglich zwei essentiellen Komponenten Reifen und Felge verschmelzen zu einer. Es könnte tatsächlich eine revolutionäre Idee der Herstellung des Fahrbahnkontaktes werden – wenn sich der Uptis unter Realbedingungen und hinsichtlich der sicherheitsrelevanten und wirtschaftlichen Parameter als praxistauglich erweist. “Der Uptis ist eine bahnbrechende Innovation und momentan das einzige luftlose Rad-Reifenkonzept, das in dieser Form auf den Straßen unterwegs ist. Daher liegen noch einige bürokratische Herausforderungen vor uns, was die technische Validierung, die Zulassung und die Produktion anbelangt”, wird aus dem Hause Michelin mitgeteilt. Vor 2030 rechnet der Hersteller aber nicht mit einem großflächigen Angebot im Consumer-Segment. 

Eine lange Strecke hat das Konzept Uptis also noch zu gehen, ehe es im Markt wirklich Chancen haben wird. Die Grundidee ist es, Pannensicherheit zu garantieren. Die Rad-Reifen-Kombination kommt ohne Luftdruck aus und wurde für Pkw und Kleintransporter konzipiert. Eine flexible Struktur soll das Fahrzeug tragen. Robustheit, Fahrkomfort und Sicherheit lautet das von Michelin formulierte Versprechen. Vom Praxistest auf den Fahrzeugen von La Poste erhofft sich der Reifenhersteller aus Clermont-Ferrand einen weiteren Tauglichkeitsbeleg. Die Fuhrpark-Verantwortlichen des Paketzustellers erhoffen sich weniger Ausfallzeiten und einen geringeren Wartungsaufwand. Michelin verweist zusätzlich noch auf den ökologischen Aspekt: “Keine Reifenpannen und keine durch den Luftdruck verursachten Probleme bedeuten gleichzeitig weniger Reifenwechsel und damit eine spürbare Entlastung für die Umwelt durch die Reduzierung von Abfall.”

Praxistest bei La Poste

Michelins Hauptzielmarkt für den Uptis-Prototyp sind Kleintransporter-Flotten für den professionellen Einsatz, insbesondere im Lieferverkehr. „Der Michelin Uptis ist eine bedeutende Reifeninnovation und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum vollständig nachhaltigen Reifen im Jahr 2050. Er ist das Ergebnis von rund fünfzig Patenten rund um Reifenstruktur und Hightech-Materialien. Wir freuen uns, dass sich La Poste für den Uptis entschieden hat. Das Unternehmen betreibt mit 50.000 Fahrzeugen die größte Fahrzeugflotte auf dem heimischen Markt und ist einer der größten Arbeitgeber Frankreichs“, erklärt Bruno De Feraudy, Direktor der OEM-Aktivitäten der Michelin Gruppe. Philippe Dorge, stellvertretender Generaldirektor der Gruppe La Poste und verantwortlich für den Bereich Dienstleistungen/Briefe/Pakete, fügt an: „Wir stellen Briefe und Pakete in ganz Frankreich zu, sechs Tage die Woche und mit Postbot*innen, die jeden Tag das 50-fache des Erdumfangs zurücklegen. Wir brauchen deshalb zuverlässige und sichere Fahrzeuge, die gleichzeitig unseren ökologischen Fußabdruck reduzieren."

Ressourceneinsparung

Es war der mit Luft befüllte Reifen, der den Siegeszug des Autos überhaupt erst möglich machte. Es ist durchaus denkbar, dass sich in der Zukunft auch das Konzept der luftlosen Reifen einen bedeutenden Platz in der automobilen Wirklichkeit sichert. Gerade der Gedanke der Ressourcenschonung dürfte Wirkung entfalten, sofern der Uptis und die Konzepte anderer Hersteller performance-seitig überzeugen können. “Jedes Jahr werden weltweit 200 Millionen beschädigte Reifen weggeworfen. Pannensichere Modelle würden also enorme Ressourcen sparen“, bekräftigte vor gut zwei Jahren der damalige CEO der Region Nordeuropa Anish K. Taneja, anlässlich einer Vorstellung des Reifenkonzeptes. Auch andere Reifenhersteller wie Goodyear, Hankook (i-Flex) und Bridgestone (s. Kasten) haben vergleichbare Konzepte in der Pipeline und sind relativ weit fortgeschritten in ihrer Entwicklungsarbeit. Allesamt versprechen sie, dass luftlose Reifen leichter zu recyceln sind und zum Großteil aus recycelten Stoffen bestehen. Leichter werden soll auch das Erneuern der Lauffläche. Der Wettlauf der "Luftlosen" ist auf jeden Fall eröffnet. 

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