Transformation in der Zuliefererindustrie

Qualifizierung als Antwort auf sinkenden Personalbedarf

Christiane Benner Continental IG MetallIst überzeugt, dass "Transformation durch Weiterbildung eine echte Chance ist": IG-Metall-Chefin Christiane Benner.  Foto: Continental

„Nicht alles bleibt so, wie es heute ist. Arbeitsplätze und Betriebe verändern sich”, sagte die neue Erste Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, in der ersten Rede nach ihrer Wahl. Das ist sicherlich keine neue Erkenntnis, doch mit Blick auf die Schnelligkeit und die Wucht des Wandels verdient das Thema ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit. Die Folgen der Transformation sind nämlich auch und gerade in der Automobilindustrie und ihren anhängigen Branchen signifikant spürbar. 

Erst vor wenigen Wochen verkündete Continental einen massiven Stellenabbau in seiner Geschäftseinheit Automotive. Die geplanten "Verschlankungen" zielen besonders auf die Verwaltungsstrukturen des Geschäftsbereichs Automotive, die Kostenseite soll um jährlich 400 Millionen Euro entlastet werden. Die genaue Anzahl der wegfallenden Arbeitsplätze steht noch nicht fest, vierstellig ist die Zahl aber auf jeden Fall.

Die Pläne des Hannoveraner Unternehmens bestätigen somit die Prognose von Prof. Dr. Benedikt Maier vom Institut der Automobilwirtschaft. Im Interview mit unserer Redaktion hatte Maier die Zukunft des Kfz-Gewerbes mit Blick auf die Beschäftigungssituation wie folgt skizziert: “Der Personalbedarf wird selbst unter Annahme eines weiter wachsenden Markts nicht auf dem heutigen Niveau bleiben. Insbesondere in den Zentralabteilungen werden dann weniger Beschäftigte benötigt, gefolgt von den Bereichen Handel sowie Werkstatt und Teile.” Neben “quantitativen Beschäftigungseffekten” sind seiner Ansicht nach aber auch qualitative Veränderungen zu erwarten.

Elektromobilität ist weniger “beschäftigungsintensiv”

Der Problematik ist man sich innerhalb der Zulieferindustrie natürlich längst bewusst. Auch die Gewerkschaften haben die Zeichen der Zeit erkannt und setzten sich entsprechend für die Beschäftigten ein. Und das mitunter durchaus mit Erfolg, wie der Anfang Juli ausgehandelte Zukunftstarifvertrag bei Bosch Mobility, dem Automobilbereich von Bosch, verdeutlicht. Betriebsbedingte Kündigungen sind an den deutschen Standorten dank der Vereinbarung bis Ende 2027 ausgeschlossen. „Noch wichtiger ist: Die Betriebsräte werden nun auch frühzeitig in strategische und wirtschaftliche Planungen eingebunden, zum Beispiel hinsichtlich der Ansiedelung von Zukunftsprodukten und Entwicklung von Zielbildern. So gestalten wir die Zukunft der deutschen Mobility-Standorte auch über das Jahr 2027 hinaus”, erläutert Frank Sell, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats des Unternehmensbereichs Mobility und stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der Robert Bosch GmbH. Dass gleichwohl auch Bosch mittelfristig weniger Menschen beschäftigen wird, deutete CEO Stefan Hartung in einem Interview mit dem Manager Magazin Anfang des Jahres zumindest an. 

Mit ZF ist auch bei einem weiteren Akteur der Zulieferbranche absehbar, dass über kurz oder lang weitere Arbeitsplätze entfallen. Für die meisten Standorte hierzulande gilt immerhin eine Beschäftigungssicherung bis 2025. Am Standort Saarbrücken mit derzeit 10.000 Beschäftigten steht jedoch bis 2030 eine deutliche Reduzierung der Belegschaft an. „Wir sprechen seit Jahren transparent über die Tatsache, dass der Standort Saarbrücken aufgrund der geringeren Wertschöpfung bei den Produkten der E-Mobilität nicht mehr wachsen, sondern sich verkleinern wird“, betonte der Konzern gegenüber dem SR. Genaue Zahlen wurden derweil nicht genannt, im vierstelligen Bereich dürfte die Zahl aber auch hier auf jeden Fall liegen. Die Werke in Eitorf und Gelsenkirchen mit insgesamt rund 1.000 Mitarbeitern sind Medienberichten zufolge gar vom kompletten Aus bedroht.

Dass die Elektromobilität ein mit Blick auf Arbeitsplätze entscheidender Faktor ist, bestätigte jüngst auch Mahle-CEO Arnd Franz in einem Welt-Interview. „Da der Verbrenner wesentlich beschäftigungsintensiver ist als das Elektroauto, wird man in Verbindung mit dem sinkenden Marktvolumen in Europa massive Auswirkungen auf die Beschäftigung in der Zulieferindustrie sehen.“ Ab der zweiten Hälfte des Jahrzehnts werde seiner Meinung nach “viel passieren”. Seine im Gespräch mit der Welt geäußerte Einschätzung klingt wenig verheißungsvoll: “Ich glaube nicht, dass Mahle seine aktuell rund 30.000 Mitarbeitenden in Europa im Jahr 2035 noch haben wird. Es werden deutlich weniger sein.“

Qualifizierungs-Initiativen

In Situationen wie diesen sieht die IG Metall Unternehmen in der Pflicht. “Arbeitgeber müssen ihre Verantwortung für Weiterbildung der Beschäftigten endlich mit verlässlichen Qualifizierungsplanungen für alle Beschäftigen wahrnehmen. Alle Beschäftigten brauchen ein Recht auf Weiterbildung für eine berufliche Neuorientierung”, lautet eine auf dem IG Metall-Gewerkschaftstag in Frankfurt formulierte Forderung. Neben der Schulung von Mitarbeitenden, um sie für die Herstellung von Komponenten für die neue Mobilität fit zu machen, geht es unter den Zulieferern auch um eine Qualifikation der Belegschaft für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Denn nicht alle Verbrenner-Arbeitsplätze lassen sich in eine E-Auto-Stelle umwandeln. Durch die Transformation wird die Anzahl der Arbeitsplätze – und womöglich auch die Anzahl der Standorte – zurückgehen. Entsprechend zielen die Zulieferer mit ihren Weiterbildungsmaßnahmen explizit auch auf Positionen außerhalb des eigenen Unternehmens. 

Im Rahmen eines Anfang August vereinbarten Zukunftstarifvertrags will sich Mahle dieser Thematik verstärkt widmen. Parallel zu einer Beschäftigungssicherung für die deutschen Standorte bis Ende 2025 sieht der Vertrag auch entsprechende Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote für die rund 10.500 Mitarbeitenden vor. ZF wiederum setzt in diesem Zusammenhang auf die sogenannte E-Cademy, die nach eigenen Angaben “bisher größte Qualifizierungsinitiative der Unternehmensgeschichte”. Neben Lernangeboten, die in Zusammenarbeit mit der Berliner XU Group und LHH, Teil der Adecco Group, als Projektpartner entstanden sind, sind auch interne Weiterqualifizierungen für neue Jobprofile Teil des Konzepts. Das 2021 gestartete Angebot wurde im vergangenen Jahr mit dem “Deutschen Personalwirtschaftspreis” ausgezeichnet.

Auch Continental begegnet dem sich ändernden Anforderungsprofil an die Beschäftigten mit einem eigenen Weiterbildungsinstitut. Innerhalb des CITT (Continental Institut für Technologie und Transformation) haben Mitarbeitende die Möglichkeit, sich für andere Tätigkeiten zu qualifizieren. Als 13. Schulungsstandort ergänzt seit Kurzem Gifhorn das Netzwerk des CITT. Dort werden Beschäftigte, die von der Schließung des Werkes bis Ende 2027 betroffen sind, für eine Weiterbeschäftigung bei Stiebel Eltron – dem Nachnutzer der Fläche – sowie für Bedarfe des regionalen Arbeitsmarktes qualifiziert. 

“Transformation durch Weiterbildung ist eine echte Chance”, betonte IG-Metall-Chefin Christiane Benner, die zugleich stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Continental ist, mit Blick auf Gifhorn. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der bei der Eröffnung des Weiterbildungszentrums ebenfalls anwesend war, nannte die dahinterstehende Continental-Initiative “Von Arbeit in Arbeit” “ein Paradebeispiel für eine sozial gerechte Transformation”. Auf dem IG-Metall-Gewerkschaftstag Ende Oktober griff er die Thematik erneut auf und bekräftigte: „Gerade in Zeiten schnellen Wandels müssen wir Wert und Würde von Arbeit bewahren.” Gefordert sind hierbei sicherlich verschiedene Interessengruppen, an vorderster Stelle stehen dabei jedoch die Unternehmen. (dw)

Arnd Franz Mahle CEO

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