Paul Merthen im Interview

“Der Autokauf ist eine sehr emotionale Sache”

Paul Merthen AutohausPaul Merthen will helfen, Marketingmaßnahmen im Autohaus-Geschäft wirksamer aufzusetzen.   Foto: Paul Merthen

Paul, Du willst die Zukunft des Automobilhandels mitgestalten. Was fehlt aktuell für eine wirksame Adressierung der Kundschaft bei Autohäusern? 

Paul Merthen: Jeder ist irgendwie in seinem Daily Business gefangen und kann deshalb nicht wirklich effektives Marketing betreiben. Die meisten Mitarbeiter haben nicht wirklich Zeit sich damit zu beschäftigen, was die Kunden wirklich interessiert und wie man sie adressiert. Es reicht heute nicht mehr aus, wenn ich nur meine Zeitungswerbung schalte oder die Dinge aufsetze, die den Hersteller glücklich machen. Meist wird an der Zielgruppe vorbei gesprochen.

Zielgruppe, Du wirst direkt konkret. Social-Media-Präsenzen werden immer wirksamer. Wenn man sich die Relevanz und Spezifika von solchen Präsenzen für Autohäuser anschaut – was kannst Du dazu sagen? Was sind die Kanäle, die man nutzen sollte?

Paul Merthen: Also erstmal möchte ich sagen, dass es extrem wichtig ist, sich damit zu beschäftigen. Und das nicht nur, weil es mein Job ist. Ich habe mir die Zahlen des DAT-Reports angesehen und verglichen, wie sich Kunden über ein Auto informieren. Klar, es gibt die gängigen Plattformen: Die Herstellerseite, die Internetseite vom Autohaus oder Testberichte. Spannend ist, dass vor vier Jahren in dieser Erhebung Social Media keine Rolle spielte. Das war gar nicht aufgeführt. Im aktuellen DAT-Report von 2023 aber steht nun, dass sich 25 Prozent der Gebrauchtwagenkäufer vorab über Social Media informieren. Das ist natürlich eine extrem krasse Tendenz. 

Und konkret zur Frage: Es sind die gängigen Plattformen wie Facebook, Instagram und TikTok, über die man den Großteil der Leute über alle Altersgruppen hinweg erreicht. Im B2B-Bereich ist LinkedIn die Plattform schlechthin, um mit anderen Unternehmen in Kontakt zu treten und dort seine Produkte zu bewerben. Man muss aber mit unterschiedlichen Ansätzen rangehen, entsprechend der Intention. Es ist ja immer erstmal die Frage nach dem Ziel. Möchtest du jetzt was verkaufen oder möchtest du Mitarbeiter gewinnen? Wenn ich beispielsweise Ausbildungsplätze bewerben möchte, ist TikTok ein sehr relevanter Kanal.

Ich habe mir im Kontext einer auf Gewerbekunden ausgerichteten Kampagne für einen Plug-in-Hybrid kürzlich angeschaut, wie diese auf welchen Kanälen performt. Prozentual war es so, dass die Klicks auf diese Werbeanzeige im Verhältnis 70 Prozent Facebook und 30 Prozent Instagram waren. Das fand ich sehr spannend, also gerade auch, dass dieser Unterschied so groß war.

Lass uns gern beim Thema Konvertierung bleiben. Wie setzt man eine Marketing-Kampagne oder Anzeigen in den Social-Media-Kanälen möglichst griffig auf?

Paul Merthen: Wir schauen uns natürlich immer zuerst die Zielgruppe an. Nehmen wir beispielsweise Leasing-Kunden: Ich sehe keine Werbeanzeigen oder wenig Inhalte darüber, wie man diese richtig anspricht. Was muss man bei einer Leasingrückgabe beachten? Läuft das Leasing aus? Es ist extrem wichtig, sich mit den Kunden-Bedürfnissen auseinanderzusetzen. Häufig sehe ich in den Werbe-Accounts Kampagnen, die hauptsächlich auf den Preis fokussiert sind. Damit stillen wir ein wenig die Lust nach diesen Preiskäufern. Aber das ist ja eigentlich das, was wir im Autohaus nicht wollen. Es ist wichtig, Probleme anzusprechen – wenn beispielsweise ein Leasing oder eine Finanzierung ausläuft. Das ist ein wirklich greifbares Thema für eine Kampagne. 

Also, was macht eine griffige Kampagne aus? Ich weiß, wer meine Zielgruppe ist. Ich weiß, was diese für Probleme hat – und dann muss ich diese dazu bringen, in die Handlung zu kommen. Auch mal eine Limitierung mit einbauen – ein Angebot, was für immer gültig ist, das hat eigentlich keinen Wert. Wenn dieses aber nur bis Ende des Monats gültig ist, ist es deutlich interessanter. Stark unterscheiden kann man sich als Autohaus in seinen Kampagnen auch, wenn man darauf verzichtet, irgendwelche Herstellerbilder zu nehmen. Mit Emotionalität arbeiten. Der Autokauf ist eine sehr emotionale Sache. Also warum nicht mal ein eigenes Video produzieren, in dem man als Handelsakteur zeigt, was das Auto kann. Dann verspreche ich dir, die Ergebnisse sind deutlich besser.

Du hast an der Kampagne “Škoda Liebe” mitgearbeitet. Kannst Du dazu ein paar Details nennen? 

Paul Merthen: Ja, für meinen ehemaligen Arbeitgeber war ich an “Škoda Liebe” beteiligt. Wir haben organisch die Kanäle aufgebaut, unter anderem auf Instagram und auf TikTok. Besonders erfolgreich war eine Kampagne zum Škoda Fabia in einer etwas sportlicheren Ausstattung. Wir haben mit Bildern angefangen, haben dann aber auch gesagt, dass wir jetzt auch mal Videos liefern, zeigen, was das Auto so kann. Wir haben einen Verkäufer integriert, der das Auto präsentiert hat und in einem zweiten Video hat er das Angebot direkt gepitcht. Über Facebook und Instagram haben wir mit der Kampagne Leads generiert, über 100 im Monat. Erfolgreich also, aber klar bringt das auch eine andere Herausforderung mit sich, denn die Leads müssen ja auch verarbeitet werden. Auch diesbezüglich wünsche ich mir ein Umdenken in den Unternehmen. Man generiert Leads, generiert potenzielle Kunden – und nichts ist schlimmer, als wenn die Unternehmen es nicht schaffen, sich innerhalb von einem Tag bei diesen zu melden.

Wenn wir über eine Budgetierung für Marketing im Autohaus sprechen, und ich möchte als Betrieb initiativ werden, auch langfristig eine Sichtbarkeit erzeugen – über welche Beträge sprechen wir dann überhaupt?

Paul Merthen: Es ist natürlich immer abhängig davon, welche Größe das Autohaus hat. Wie viele Autos sollen verkauft werden, wie sind die Ressourcen intern und möchte man externe Unterstützung einkaufen? Es gibt jetzt nicht die pauschale Antwort, die man sich wahrscheinlich wünscht. Aber ich sag mal so: Wenn ich organisch was reißen möchte, also wenn ich zum Beispiel sage, ich möchte jetzt als Autohaus bei Instagram durchstarten und will den vollen Fokus darauf geben, dann sollte man wirklich darüber nachdenken, eine Person im Autohaus Vollzeit damit zu beschäftigen. Denn es ist ein Vollzeitjob. Aber was wird so eine Position im Monat kosten? Irgendwo zwischen 2.500 und 4.000 Euro brutto, je nachdem wie die Vorkenntnisse sind. Wenn ich das an eine Agentur extern vergebe, dann muss ein Betrieb mit 4.000 bis 5.000 Euro rechnen – wenn Fotos und Videos konzipiert und erstellt, eigenes Equipment mitgebracht und Know-how eingebracht wird. In dieser Größenordnung sollte ein Autohaus denken, um den organischen Part abzudecken und zum Laufen zu bringen. 

Hinsichtlich Anzeigen empfehle ich ebenfalls, das Ziel und das Budget genau zu definieren. Zum Start würde ich sagen: Fang erstmal klein an. Das ist völlig okay, egal wie groß dein Autohaus ist. Mit 600 Euro im Monat lässt sich starten. Und dann ist es wichtig, entlang der Ziele zu beobachten: Bringt das jetzt Traffic? Bringt das Leads? Also zahlt das auf unsere Ziele ein? Und wenn ja, dann gib mehr Geld rein. Das ist ein ganz einfaches Prinzip. Und so handhaben wir das tatsächlich auch immer. Natürlich haben wir jetzt über die Jahre Erfahrungen aufgebaut und können eine Kampagne gut bewerten. Zahlt sie auf die definierten Ziele ein? Wenn ja, mehr davon. Wenn nein, eiskalt wegstreichen.

In den meisten Fällen sprechen wir über Autohaus-Gruppen mit einer Vielzahl von Standorten. Regional kann die Adressierung also sehr unterschiedlich ausfallen. Ist es also sinnvoll, für jeden einzelnen Standort Kampagnen aufzusetzen? Wie würdest du es in idealer Form machen?

Paul Merthen: Also es ist natürlich immer super individuell. Manche Autohaus-Akteure haben unterschiedliche Profit-Center. Die sagen, das Geld, das ich jetzt für den Betrieb habe, soll der andere Betrieb nicht bekommen oder nicht davon profitieren. Das habe ich alles schon erlebt. Aus finanzieller Sicht macht es natürlich für eine Gruppe Sinn, zentral zu verwalten und ein größeres Budget zu haben, als das irgendwie runterzubrechen. Das macht es halt nur komplizierter.

Lass uns auf ein weiteres Thema schauen, das im Kfz-Gewerbe und im Autohaus-Geschäft sehr relevant geworden ist: Der Fachkräftemangel. Da gibt es über die Social-Media-Kanäle mittlerweile ganz andere Möglichkeiten für ein wirksames Recruiting. 

Paul Merthen: Wir sprachen eben bereits über TikTok. Ich kenne ein paar Autohäuser, die diese Plattform richtig clever bespielen: Sie definieren TikTok als Azubi-Projekt. Die Azubis bespielen TikTok selbständig, erarbeiten Ideen, sprechen diese und die Veröffentlichung natürlich intern ab, aber schaffen mit ihrem Content eine Sichtbarkeit auch für potenzielle Bewerber. Also von Azubis für Azubis. Das ist schon mal super smart und da brauchst du jetzt auch keine teure Agentur für. Die Azubis haben meistens schon ein sehr gutes Gefühl dafür, was funktioniert, weil sie ja selber zur nutzenden Altersgruppe gehören. 

Auf Instagram, auf Facebook oder auf LinkedIn ist es wichtig, dass du zeigst, wer du als Arbeitgeber bist. Was unterscheidet dich vielleicht von anderen Unternehmen? Gib den Followern, den Kontakten auch mal einen Einblick. Was macht denn ein Verkäufer den ganzen Tag? Was machen denn ein Serviceberater und eine Serviceberaterin den ganzen Tag? Eine gute Arbeitgebermarke lebt davon, dass man seine Mitarbeiter zeigt und sich auch bewusst ist, wofür man steht, was man macht, wo man hin will. Es hilft, das wirklich mal niederzuschreiben. Das ist der beste Hack, den ich jedem geben kann.

Auch die Grundhaltung im Autohaus-Geschäft muss sich also transformieren. Das Werben um Fachkräfte gelingt besser, wenn ein Betrieb Erlebbarkeit schafft und Gesichter zeigt. Das ist aber vielleicht nicht jedermanns Sache? 

Paul Methen: Es  beginnt damit, im Team zu fragen, wer sich eine solche Aufgabe vorstellen kann. Auch wir haben in unserer Arbeit immer wieder versucht, “Markenbotschafter” aufzubauen. Ein “Gesicht des Unternehmens” zu finden ist durchaus eine Herausforderung – das ist eine langfristige Aufgabe für diesen Menschen. Die Lust darauf und das Zutrauen sind eine Sache, es braucht aber auch Anreize. Monetärer Art, und auch in Form von Benefits oder Weiterbildungen. Für mittelständische Unternehmen ist natürlich auch sehr zielführend, wenn der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin ebenfalls zu sehen sind. Das schafft extrem viel Vertrauen. 

Abschließend – Du als “Guide in der Welt des Automobilmarketings”: Wie sieht denn in zehn Jahren das Autohaus-Geschäft aus? 

Paul Merthen: Ich glaube, in zehn Jahren gibt es auf jeden Fall noch Autohäuser. Die werden hoffentlich bis dahin deutlich digitaler aufgestellt sein. Es sollte in zehn Jahren Standard sein, dass ich einen Termin online buchen kann. Und da muss nicht irgendwie noch mal jemand zurückrufen und sagen: “Ja, wir haben Ihre Anfrage erhalten, aber an dem Tag klappt es leider nicht”. 

Das muss eigentlich jetzt schon klar sein, oder?

Ist es aber nicht!

Neben dem Autohandel, der weiterhin bestehen bleibt, glaube ich fest daran, dass die Werkstätten auch im Service immer noch genug zu tun haben werden. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn Betriebe aufgeschlossener werden und erkennen, dass man Ersatzteile über Online-Shops verkaufen kann. Auch würde ich es klasse finden, wenn man noch mehr die Dienstleistung verkauft. Muss eine Beratung immer kostenlos sein? Habe ich mich auch schon als Autoverkäufer oft gefragt.

Grundsätzlich gilt: Digitaler denken! Unternehmen im Kfz-Gewerbe müssen verinnerlichen, dass man auch mit Social Media Geld verdienen kann, unabhängig vom Verkauf von Fahrzeugen.

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