Doris Gietl von LDB über Voicebots im Autohandel

„Der Kunde möchte Mitarbeiter, die Zeit für ihn haben“

Die-Rolle-moderner-Kundenkontaktcenter-im-Autohandel webDoris Gietl bei der Präsentation des Voicebots "Carla".  Foto: LDB Gruppe

Zum Interview trafen wir uns auf Anbieterseite mit Doris Gietl, Head of Business Development, Sales & Marketing bei der LDB Gruppe – und auf Anwenderseite mit Michael Walter, Autohausbetreiber und Nutzer der technologischen Lösungen der LDB (siehe unten). Gemeinsam sprachen wir über die Notwendigkeit der technologischen Unterstützung von Autohändlern und den von der LDB Gruppe entwickelten, KI-gestützten Voicebot namens „Carla“.

Frau Gietl, wie kam die LDB Gruppe von der Marktforschung zum Anbieten von KI-Lösungen?

Doris Gietl: Vor etwa 15 Jahren kamen die ersten Händler mit dem Problem der telefonischen Erreichbarkeit auf uns zu. Weil die Kunden eben nicht linear anrufen, sondern zum Beispiel am Montagvormittag gebündelt, mussten wir uns mit dem Thema des telefonischen Überlaufs befassen. Die Erreichbarkeit ist im Automotive-Handel ein Riesenthema: Im Schnitt ist der deutsche Autohändler heute zu maximal 65 Prozent erreichbar. Manche Betriebe kommen mit einer Eigenerreichbarkeit von 20 Prozent zu uns. Das ist ein wichtiger Aspekt, weil die Kunden entweder warten oder nochmal anrufen müssen. Hinzukommt, dass der Handel in Sachen Digitalisierung im Branchenvergleich noch nicht da ist, wo andere sind, sondern bei vielleicht 10 bis 20 Prozent. Dadurch ist in diesem Bereich das Telefon immer noch das führende Kommunikationstool.

Wie kann die KI da Abhilfe schaffen?

Doris Gietl: KI gibt es ja schon länger, aber mit ChatGPT hat sie eine ganz andere Dynamik entwickelt, auch für den Endverbraucher. Über die Jahre haben wir ein Omnichannel-Tool entwickelt, mit dem wir dem Handel ermöglichen über alle Kommunikationskanäle gebündelt auf einer Plattform mit ihren Kunden zu interagieren. Die Branche steht einfach massiv unter Druck: Auf der einen Seite möchte man für den Kunden 24/7 erreichbar sein, auf der anderen Seite aber möglichst kosteneffizient arbeiten. Deswegen haben wir als erstes unseren Voicebot entwickelt, der eigentlich das schwierigste Element in diesem ganzen KI-Spiel ist. Schriftliche KI-Kommunikation ist weniger aufwendig als die Voice-Komponente, weil weniger technische Parameter beachtet werden müssen. Aber für uns war klar: Der größte Leidensdruck im Handel liegt in der Erreichbarkeit. Uns war wichtig, unsere in 50 Jahren gesammelte Erfahrung an den Händler weiterzugeben und dabei ein gesundes Mittel zwischen den Anforderungen des Handels und des Endkunden zu finden: Der Handel bekommt das, was er braucht, der Endkunde das, was er erwartet, nämlich einen kurzen, knackigen, zielführenden Dialog.

Merkt der Anrufer, dass eine KI am anderen Ende der Leitung ist bzw. wird er darüber informiert?

Doris Gietl: Da gibt es verschiedene Varianten. Bei uns kommuniziert der Voicebot in der Begrüßung, dass man gerade mit einem digitalen Assistenten spricht. Wenn der Kunde dann äußert, dass er das nicht möchte, gibt es ein Handover. Wir zwingen den Kunden natürlich nicht, mit der KI zu interagieren.

In welcher Form werden die vom Voicebot angenommenen Anrufe dokumentiert?

Doris Gietl: Sie werden transkribiert. Dabei kommt es immer darauf an, was die KI tut. Wenn sie Werkstatttermine bucht, sind diese dann im jeweiligen Werkstattplanungssystem des Händlers zu sehen. Sie kann aber auch klassische Rückrufbitten aufnehmen oder einen kompletten Gesprächsverlauf transkribieren. Man kann also immer sehen, was die KI und was der Kunde gesagt hat.

Wie viel muss ein Autohaus für die Implementierung des Voicebots in die technische Infrastruktur investieren?

Doris Gietl: Das Autohaus muss lediglich eine telefonische Rufumleitung einrichten. Dafür bekommt es eine Telefonnummer, hinter der dann der Voicebot sitzt. Viel wichtiger ist das Fachliche, also festzulegen, welche Prozesse man braucht, wie die KI sich melden und welche Daten sie aufnehmen soll. Dafür gibt es ein Standard-Set, aus dem man sich bedienen kann. Den Rest kann man individuell festlegen. Dazu muss man die KI mit den jeweiligen Informationen des Händlers, wie Öffnungszeiten, Marken, Herstellervorgaben oder Mitarbeiter füttern.

Haben Sie Erfahrungen, was die Stimmfärbung des Voicebots angeht? Ist die für das Autohaus individualisierbar?

Doris Gietl: Da haben wir klassischerweise ein Standard-Set, das sich aber auch individualisieren lässt. Ein Voicebot funktioniert ja so: Vorne gibt es einen Nutzer, der Sprache ausgibt. Diese Sprache wird in Text umgewandelt. Dieser Text fließt dann in das Large Language Model (LLM) von ChatGPT. Dort findet die intuitive Erkennung statt, was der Kunde mit seinem Text sagen will und was eine logische Antwort sein könnte. Damit verkoppelt ist ein Prompt, der weiß, dass wenn der Kunde zum Beispiel einen Werkstatttermin vereinbaren möchte, er nach dem Kennzeichen und dem Kilometerstand des Fahrzeugs gefragt werden muss. Anschließend gibt das LLM anhand des Prompts wieder einen Text aus, der dann in Sprache umgewandelt wird. Das ist dann das, was der Anrufer hört. Dieser Prozess funktioniert inzwischen innerhalb von Millisekunden. Für die Ausgabe lassen sich unterschiedliche Stimmen und auch Sprachen und Dialekte verwenden. Der Bot ist in der Lage, multilingual zu arbeiten. Den technischen Möglichkeiten sind da keine Grenzen gesetzt. Technisch ist es möglich, eine menschliche Stimme als Vorlage zu verwenden, aber da haben wir uns bewusst dagegen entschieden. Unsere Stimmen sind keine klassischen Computerstimmen, aber man hört an der Sprachmelodie, dass es wahrscheinlich kein Mensch ist. Wir sagen dem Kunden von Anfang an, dass es eine Technik ist und lassen ihm die Entscheidung. Wir entmündigen ihn nicht.

Auch wenn es Computerstimmen sind, haben Voicebots schon eine deutlich männliche oder weibliche Anmutung. Gibt es da Erkenntnisse, was – vor allem im Automotive-Bereich – besser funktioniert?

Doris Gietl: Wir sind mit einer weiblichen Stimme an den Start gegangen, weil wir uns relativ früh dazu entschieden haben, dass unsere KI Carla heißen soll. Viele unserer Kunden behalten den Namen bei, aber es gibt auch Kunden, die benennen sie in Fritzi oder Susi um. In den USA gab es wissenschaftliche Studien, die ergaben, dass eine männliche Stimme eine höhere Akzeptanz habe, aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass es da keinen Unterschied gibt. Im Callcenter merkt man, dass männliche Agents häufig weniger Eskalationen abkriegen als Frauen. Bei der KI konnte ich das nicht feststellen.

Apropos Eskalation: Wie reagiert die KI, wenn Kunden ausfällig werden oder offensichtlich wütend sind?

Doris Gietl: Das LLM wäre grundsätzlich dazu in der Lage, Stimmungen zu erkennen, aber in Deutschland und der EU ist das verboten. Aus ethischen Gründen finden wir es verwerflich, die Stimmung eines Menschen zu messen und zu erfassen. Was wir jedoch in der Anweisung für die KI verankert haben, ist, dass wir uns auskoppeln und an einen Mitarbeiter übergeben, wenn bestimmte Worte fallen.

Wie steht es um die Datensicherheit aus Sicht des Kunden?

Doris Gietl: Wir erheben und verarbeiten nur Daten, die für den jeweiligen Use-Case erforderlich sind. Das heißt, ich weiß über welche Rufnummer der Anrufer ankommt, ob der Anrufer und ein Fahrzeug bekannt sind, aber ich habe über die KI keinen Zugriff auf seine Rechnungen, oder darauf, wie viele Autos er gekauft hat oder die Liquiditätsprüfungen bei der letzten Finanzierung. Das gesamte Hosting befindet sich in Europa, unsere Software, unser Tool, also die CXBox, die das Ganze trägt, ist TISAX-zertifiziert. Das ist die höchste Zertifizierung, die man im Automobilbereich haben kann. Darüber hinaus haben wir ein Rechenzentrum in Berlin mit höchsten Sicherheitsstandards. So ist sichergestellt, dass wir zum Beispiel keine Daten in die USA überführen. Wir nutzen ein LLM von OpenAI, das in Europa gehostet ist. Es gäbe günstigere LLMs, die vielleicht sogar noch schneller und besser wären, aber die kann ich aus Datenschutzgründen nicht nutzen. Wir haben ja eine riesige Verantwortung natürlich dem Endverbraucher, aber auch dem Händler gegenüber, weil die KI während des Anrufs auf die genannten Informationen des Anrufers zugreift und sie ihn über die Telefonnummer sofort identifizieren kann. Also ist alles, was wir verwenden, in Europa gehostet, anders geht es nicht.

Kann der Voicebot auch proaktiv agieren und zum Beispiel den Kunden an seine nächste Inspektion erinnern?

Doris Gietl: Das sind die Dinge, an denen wir gerade arbeiten. Aber wovon ich persönlich nichts halte, ist ein Outbound-Voicebot. Auch da gibt es Unternehmen, die das schon einsetzen. Doch wenn ich denke, mein Autohaus ruft mich an und dann ist da irgendeine Technik dran – ich weiß nicht. Vielleicht ist es in ein paar Jahren, wenn wir alle an KI gewöhnt sind, vollkommen normal. Wo wir allerdings gerade drüber nachdenken, sind solche Prozesse, wie einen Kunden zu einer Probefahrt einzuladen, wenn zum Beispiel das Leasing ausläuft.

Was sagen Sie zu Befürchtungen, dass durch Voicebots Arbeitsplätze wegfallen?

Doris Gietl: Wir haben, Stand heute, ungefähr eine halbe Million Callcenter-Agents in Deutschland. Viele Dinge, die diese heute tun, wird morgen eine KI lösen. Das heißt aber nicht, dass sie keinen Arbeitsplatz mehr haben, sie werden andere Dinge tun. Und die Generationen, die nachkommen, haben einen anderen Anspruch an ihren Arbeitsplatz. Sie wollen Dinge tun, die mehr zur Wertschöpfung beitragen, die sinnstiftender sind. Ich denke, diese Menschen werden nach wie vor etwas zu tun haben, aber sie werden etwas anderes tun und sie werden es KI-gestützter tun. Es geht am Ende des Tages darum, Dinge von den Arbeitenden fernzuhalten, die sinnfrei sind, die eine Technik schneller, einfacher und standardisierter lösen kann. Nur weil die Autohändler jetzt nicht mehr ans Telefon gehen, haben sie durchaus noch einen Job. Sie machen jetzt den Job am Kunden. Und zwar das, was der Kunde ja eigentlich als Erwartung hat, wenn er in ein Autohaus kommt: Er möchte empfangen, betreut und angesprochen werden. Er möchte Mitarbeiter, die Zeit für ihn haben.

Wo sehen Sie Ihr Geschäftsmodell in zehn Jahren?

Doris Gietl: Ich glaube, aus Endverbrauchersicht wird der Voicebot in zehn Jahren wahrscheinlich keine Rolle mehr spielen. Wohl aber die Stimme. In zehn Jahren werden wir auf eine Diktierfunktion drücken und darüber dann einen Termin im Autohaus buchen.

Drei Fragen an den Anwender

In Autohäusern kann man mittels KI „Druck aus dem System nehmen“

Michael Walter III
"Bei Veränderungen muss man immer alle mitnehmen, auch die Kundschaft", sagt Michael Walter, Geschäftsführer der ASA Gruppe. Foto: ASA Gruppe

Die ASA Gruppe (Auto Sachsen-Anhalt) betreibt zwei Autohäuser in Halle an der Saale, ein VW-Zentrum und ein Audi-Zentrum. Geschäftsführer Michael Walter begann die Zusammenarbeit mit der LDB Gruppe vor acht Jahren, ursprünglich um Terminvereinbarungen zu automatisieren und damit Kosten zu senken, dabei aber den Kunden nicht aus den Augen zu verlieren. Wir sprachen mit ihm über den Voicebot-Einsatz aus Sicht des Anwenders und mit Blick auf den Kunden.

Herr Walter, kurz zur Einordnung: Warum haben Sie sich für den Einsatz von KI in Ihren Arbeitsabläufen entschieden?

Michael Walter: Wir haben bei VW vier Serviceassistenten, bei Audi drei. Damit können wir eigentlich das normale Tagesgeschäft aufrechterhalten. Ich wollte mich aber unabhängiger von der Assistentin machen, deren Aufgabenbeschreibung ja nicht nur die Terminvereinbarung ist. Da gehört ja viel mehr dazu. Gerade jetzt zum Thema Räderwechsel springt das Auftragsvolumen sprunghaft an. Und dann sind wir völlig überlastet. Wir wollten ein bisschen Druck aus dem System nehmen. Mein Anspruch war, alles was automatisiert generierbar ist, von einer Maschine machen zu lassen. Auch um mich den Themen Qualität der Mitarbeiter, Fluktuationen, Krankheitsausfälle entgegenzustellen.

Wie haben Ihre Mitarbeiter die Einführung von KI in Ihren Autohäusern aufgenommen?

Michael Walter: Zunächst wird, wie für Deutschland typisch, alles was Veränderung bringt, erstmal abgelehnt. Da haben wir natürlich gerade in der Einführungsphase versucht, in regelmäßigen Gesprächen die Hemmschwelle zu verringern und den Kollegen die Angst zu nehmen, dass da irgendwelche Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Im Prinzip ist die KI ein Hilfsmittel, damit alle ein bisschen entspannter arbeiten können und sich um den Fokus des Kunden kümmern können. Nach Beendigung der Prozessphase gab es nochmal ein Gespräch. Da hatten dann alle verstanden, dass es für sie nur ein Unterstützungsmechanismus ist, der automatisierte Prozesse betrifft. Aber bei Veränderungen muss man immer alle mitnehmen, auch die Kundschaft, und darf das nicht nur intern durchsetzen. Wenn du bei zehn Telefonaten neun Aufleger hast, funktioniert es nicht. Du musst die Kunden vorab informieren. Und das Schöne an dem System ist ja: Wenn wir die Kunden jetzt zum Räderwechsel anschreiben, gehen auf einen Schlag tausend Briefe raus und Montagmorgen könnte die Anlage theoretisch tausend Termine vereinbaren. Das wäre in der alten Welt technisch nicht machbar gewesen.

Lässt sich die Entlastung der Mitarbeiter durch die KI in Zahlen bemessen?

Michael Walter: Der Zeitbedarf, einen Termin mit Neukunden zu buchen, liegt bei etwa 12 bis 15 Minuten pro Kunde. Wir müssen den ja erstmal in das System integrieren und Informationen wie Fahrgestellnummer und Kilometerstand dokumentieren. Das heißt, ein Mitarbeiter kann in einer Stunde vier Termine vereinbaren. Und das macht eben aktuell die KI. Damit ziehen wir Arbeit vom Mensch weg, sodass der sich um die wichtigen Sachen kümmern und Kunden bedienen kann. Wenn man diese 12 bis 15 Minuten mal mit dem aktuellen Deckungsbeitrag hinterlegt, dann weiß man, wie hoch theoretisch das Einsparpotenzial ist. Dadurch entlasten wir die Mitarbeiter und sparen Geld. Denn auch wir sind in Sachen Kosten unter Druck. Und der Voicebot ist ja nur ein Baustein, wir sind auch noch an anderen Themen dran. Selbst bei uns in der Werkstatt arbeitet schon eine KI als Unterstützungsmechanismus für den Menschen. Wenn eine Diagnose gestellt wird, schlägt die KI die Lösung der Diagnose vor. Da wird sich in den nächsten Jahren entscheiden, wer besser ist, die Maschine oder der Mensch.

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