Prof. Dr. Sascha Friesike im Interview

“Wir werden keine Organisation digital transformieren, ohne dass es hier und da knirscht”

Prof. Dr. Sascha Friesike Durchblick in Transformationsprozessen – Prof. Dr. Sascha Friesike denkt und forscht zu Digitalisierungsschritten.  Foto: Sascha Friesike

Denkansätze für die Realisierung von Digitalisierungsprojekten haben Sie Anfang Juni in Köln im Rahmen der BRV-Mitgliederversammlung geliefert – und die drei W-Fragen der Digitalisierung fokussiert: Was ist Digitalisierung? Wofür digitalisieren? Wie digitalisieren? Können Sie dies für Automotive Insights erneut prägnant herunterbrechen?

Sascha Friesike: Digitalisierung bedeutet erst einmal, etwas Analoges in Einsen und Nullen zu verwandeln. Wenn ich aus einem Brief ein PDF mache, dann ist er digitalisiert. Heute geht es in den meisten Organisationen allerdings um die digitale Transformation. Dabei ändert sich das Ding als solches auf Basis eines digitalen Fundaments. Aus dem Brief wird dann beispielsweise eine App, in der alle Kommunikation hinterlegt ist. Da sich im Zuge der digitalen Transformation vieles grundlegend ändert, besteht die Gretchenfrage natürlich im “Wie”. Die Herausforderung liegt darin, dass das Ergebnis unklar ist. Wir wissen nicht, wie wir am besten digital transformieren, und weil uns das Ergebnis unklar ist, tun wir uns mit diesem Prozess so schwer.

Sie sagen, dass eine Unschärfe in der Betrachtung dazu führt, dass Digitalisierungsprojekte oft den falschen Ansatz haben. Wie kann man als Handelsakteur oder Kfz-Betrieb Prozesse zielgenauer digitalisieren?

Sascha Friesike: Viele Projekte werden deswegen angestoßen, weil man halt auch mal etwas digitalisieren will. Das ist kein vielversprechender Impuls. Auch macht es wenig Sinn, sich vorher schon genau festzulegen, wo man denn rauskommen möchte, weil – da haben wir ja drüber gesprochen – der ganze Prozess ja zielunscharf ist. Wichtig ist es, sich beherzt vorzutasten und den Mut zu haben, die eigenen Entscheidungen von gestern zu hinterfragen.

Transformations- und Adaptionsfähigkeit wird zur Kernkompetenz in vielen Branchen. Welche Grundhaltung braucht es, um das Tempo des digitalen Wandels mitgehen zu können?

Sascha Friesike: Ich nenne das gerne skeptische Neugier. Mir fallen zu viele Leute in die Extreme. Entweder sind sie extrem euphorisch und wollen dann jede neue Sau, die durchs Dorf getrieben wird, zur Lösung aller Probleme erklären, oder sie sind zu kritisch und wollen den Status quo um jeden Preis erhalten. Beides ist keine gesunde Grundhaltung. Man muss die Neugier mitbringen, sich mit den Themen zu beschäftigen, sich ein eigenes Bild zu machen und herumzutüfteln. Auf der anderen Seite muss man skeptisch genug sein, um zu erkennen, was für den eigenen Kontext nichts bringt, und das dann auch mutig wieder zu verwerfen.

"Wir werden uns von Vertrautem trennen müssen"

“Unlearning” – also der aktive Prozess, sich von gewohnten Abläufen zu lösen – ist Ihrer Ansicht nach das Gebot der Stunde. Wie aber mindert man das Risiko einer Überforderung und Orientierungslosigkeit im Prozess der digitalen Transformation?

Sascha Friesike: Der Begriff der Transformation beschreibt ja eine Veränderung, und diese bringt, das liegt in ihrer Natur, eine gewisse Unsicherheit mit sich. Wir werden uns von Vertrautem trennen müssen. Und das macht der Mensch nun mal nicht gern. Wir werden keine Organisation digital transformieren, ohne dass es hier und da knirscht. Die Frage ist also nicht, wie wir das Risiko abwenden können, sondern wie wir lernen können, damit umzugehen. Und dieser Umgang, der kommt aus der Motivation. Wie können wir ein Umfeld schaffen, in dem gerne gearbeitet wird und in dem auch etwas gestaltet werden kann? Statt dafür alle “mitzunehmen,” lohnt es sich oft, mit denen zu starten, die schon motiviert sind. Wenn deren Enthusiasmus wächst, dann wird er schnell ansteckend.

"Die digitale Transformation ist ja kein Selbstzweck"

Wie hilfreich können auch “Fehler” sein?

Sascha Friesike: Nun, da müssen wir etwas ausholen. Die digitale Transformation ist ja kein Selbstzweck. Wir sind vielmehr gezwungen, auf unsere Umwelt zu reagieren, zum Beispiel auf den Fachkräftemangel und die Babyboomer, die jetzt in Rente gehen, um nur zwei Herausforderungen zu nennen. Die digitale Transformation verspricht, Routinetätigkeiten zu automatisieren. Das hat zur Folge, dass wir dafür weniger Mitarbeitende brauchen, sodass diese mehr Zeit haben, sich um Tätigkeiten zu kümmern, die wir nicht automatisieren können. Diese sind im Ablauf oft unstrukturierter. Dafür braucht es Impulse aus unterschiedlichen Kontexten und Kreativität. Bei solchen Tätigkeiten passieren jedoch häufiger Fehler, weil wir einfach mehr Fehler machen, wenn wir etwas noch nie gemacht haben, als bei einem Prozess, den wir schon oft durchlaufen haben. Da wir mehr Fehler machen, wird es immer wichtiger, wie wir aus Fehlern lernen können, um kontinuierlich besser zu werden. Unser Arbeitsumfeld ist dafür von größter Bedeutung. Neben dem Willen, gute Arbeit zu leisten, braucht es ein Umfeld von psychologischer Sicherheit. Das bedeutet, dass wir offen und ehrlich miteinander kommunizieren, auch über Hierarchiestufen hinweg, und den Vorgesetzten nicht nur das erzählen, was wir glauben, dass sie hören wollen.

Kritisch sehen Sie das Konzept der Nachahmung – “Isomorphismus”. Man muss als Akteur im Aftermarket aber doch auch nach links oder rechts schauen, um sich Impulse zu holen und seine Adaptionsfähigkeit zu trainieren?

Sascha Friesike: Isomorphismus erklärt, warum Organisationen irrationale Entscheidungen treffen und andere diese dann nachahmen. Gerade bei großen Zukunftsfragen schaut man gerne, was die anderen tun. Dabei unterstellen wir ihnen häufig, mehr zu wissen als wir selbst. Diese Unterstellung ist jedoch oft falsch. So wird im guten Glauben, dass die anderen schon wissen, was sie tun, der gleiche Blödsinn kopiert. Natürlich ist es sinnvoll, sich umzusehen. Neugier, darüber haben wir ja gesprochen. Aber die Skepsis, ob das denn für den eigenen Zweck wirklich die sinnvollste Lösung ist, sollten wir dabei nicht ausschalten.

Zur Person:
Sascha Friesike ist Professor für Design digitaler Innovationen an der Universität der Künste Berlin und Vorstandsmitglied & Direktor (UdK) des Weizenbaum-Institut e.V. Er ist zudem assoziierter Forscher am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Friesike ist Wirtschaftsingenieur und hat an der Universität St.Gallen zum Innovationsmanagement promoviert. Ein Jahr seiner Promotionszeit verbrachte er in Stanford in den USA. Anschließend half er in Berlin, das Humboldt Institut aufzubauen, wo er bis 2016 Forschungsleiter war.

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