Zweiradservice Wolfis Garage

Dos und Don’ts in der Motorradreifen-Montage

Motorradreifen-MontageDer Reifenwechsel am Motorrad ist viel Handarbeit.  Fotos: Marcel Schoch

Von Marcel Schoch

Ortstermin bei Wolfis Garage in Seeshaupt, an der Südspitze des Starnberger Sees: Hier betreibt Wolfgang Schelbert seit 2016 seine eigene Freie Motorradwerkstatt. Der erfahrene Motorradmechaniker-Meister blickt auf mehr als 35 Jahre Berufserfahrung zurück. „In meiner Werkstatt sind alle Motorradmarken willkommen“, sagt Schelbert, „denn als Freie Werkstatt muss man in der Lage sein, an allen Marken Servicearbeiten und Reparaturen durchführen zu können.“

Die Herausforderung dabei: Neben modernen Motorrädern werden auch immer wieder Oldtimer zu Schelbert zum Kundendienst gebracht. So unterschiedlich wie die Motorräder sind, ist auch ihre Technik. „Speziell beim Reifenwechsel muss man sehr genau wissen, wie die Räder aus dem Motorrad ausgebaut werden können“, so Schelbert. Im Unterschied zum Pkw sind hier oftmals zahlreiche Demontagearbeiten durchzuführen. So ist es keine Seltenheit, dass neben Gepäcksystemen, Schutzblechen und Rücklichteinheiten, auch Auspufftöpfe und Bremsanlagen demontiert werden müssen. Bei kettengetriebenen Motorrädern kommt hier oft noch der Sekundärantrieb hinzu. Das setzt neben geeignetem Werkzeug und einer entsprechenden Motorradhebebühne auch das Vorhandensein von Reparaturdaten voraus, um den Verschleißzustand der Fahrwerkskomponenten und des Antriebs beurteilen zu können. „Oft fehlen aber die Reparaturdaten, weil die Motorräder deutlich älter als 10 Jahre sind“, weiß Schelbert. „Hier hilft dann nur die eigene Erfahrung.“ Besonders beim anschließenden Zusammenbau nach einem Reifenwechsel. Häufig muss dann die Kettenspannung oder die Trommelbremse eingestellt werden. Auch die korrekte Spureinstellung des Rades innerhalb der Schwinge ist bei einigen Modellen eine Herausforderung. „Wie dies alles geht, darüber muss man sich bereits vor einem Reifenwechsel im Klaren sein“, mahnt Schelbert. „Fehlen die Infos zur Montage und zu den nötigen Einstellarbeiten, besteht die Gefahr, dass einem hier gefährliche Fehler unterlaufen.“

Speiche oder Alu

Doch nicht nur die Motorrad-Peripherie, auch das Rad selbst muss vor dem Reifenwechsel genauestens auf Schäden inspiziert werden. Prinzipiell sind bei Motorrädern heute zwei Radtypen üblich. Speichen- und Aluräder (auch: Gussräder). „Bei Speichenrädern müssen die Spannung der Speichen, die Schraubnippel, der Speichenüberstand in der Felge und der Felgenkranz auf Korrosion, Verzug und Risse untersucht werden“, erklärt Schelbert. „Bei Alurädern hingegen sind es vor allem kleine Risse, auf die man achten muss. Sind diese vorhanden oder hat das Rad übermäßigen Höhen- oder Seitenschlag, ist dies das Aus für eine Alufelge.“ 

Ein weiterer Unterschied zwischen Speichen- und Alufelgen ist, dass auf Speichenräder meist Schlauchreifen (TT = Tube Type) aufgezogen werden. Hingegen werden auf Alufelgen meist Schlauchlos-Reifen (TL = Tubeless) montiert. Doch es gibt auch Ausnahmen. So können moderne Motorräder mit Speichenrädern durchaus mit Schlauchlos-Reifen bestückt sein. In jedem Fall aber muss bei TT-Reifen ein passender Schlauch und ein Felgenband dazu bestellt werden. Bei TL-Reifen kommt noch ein neues Ventil hinzu und ggf. neue RDKS-Sensoren.

Innere Werte

An den Reifen selbst werden heute von Seiten der Motorradfahrer höchste Ansprüche gestellt. Der Händler muss sich daher genau mit dem Kunden absprechen, um den richtigen Reifen für das Motorrad herauszusuchen. Zunächst ist der Reifentyp von Interesse. Es gibt zwei Bauarten: Diagonal- und Radialreifen. Diagonalreifen sind nach wie vor Standard bei älteren Motorrädern. Die Karkasslagen in seinem Inneren sind diagonal zur Drehrichtung der Rades angeordnet. Der einfache Aufbau gewährleistet Flankenstabilität, die besonders bei Geländemotorrädern (Enduro, Cross, Trial) gewünscht ist. Jedoch haben sie Einbußen bei der Höchstgeschwindigkeit. Sie liegt konstruktionsbedingt bei maximal 240 km/h.

Heutige Radialreifen weisen einen Karkasswinkel von ca. 90 Grad und einen Gürtelwinkel von 0 bis 25 Grad zur Fahrtrichtung auf. Der Gürtel liegt direkt unter der Lauffläche und sorgt dort für hohe Stabilität. Insbesondere verhindert er Fliehkraftverformung, was deutlich höhere Geschwindigkeiten zulässt. Ein weiterer Vorteil ist die geringere Materialstärke im Flankenbereich (Seitenwand). Der Reifen erwärmt sich so weniger, was wiederum die Höchstgeschwindigkeitsfestigkeit erhöht. Geschwindigkeiten von über 300 km/h sind daher mit Radialreifen kein Problem. Zudem fühlen sie sich komfortabler an.

Wichtig ist hier auch das zum Motorrad passende Reifenprofil. Hier ist die Auswahl riesig und reicht vom Tourenreifen über Enduroprofile bis Semislicks mit Straßenzulassung. Auch Oldtimer-Reifen mit Blockprofil für klassische Motorräder gibt es. Meist werden Reifen auf Basis der eigenen Erfahrungen des Kunden, manchmal aber auch wegen ihrer Optik ausgewählt.

Die Montage von Motorradreifen ist auch heute noch in vielen Motorradwerkstätten hauptsächlich Handarbeit mit dem Montiereisen. „Aufgrund der vielen Reifenwechsel habe ich mir als einziges Hilfsmittel eine kleine Montiermaschine mit Abdrücker zugelegt“, sagt Schelbert. „Sie erleichtert mir das Abziehen der alten Reifen von der Felge.“ Mit Montiereisen besteht hier ansonsten die Gefahr, den Felgenrand zu beschädigen. Die Montage ist durchaus vergleichbar mit Pkw-Reifen. Lediglich montierte Kettenräder oder Bremsscheiben können hier die Reifenmontage erschweren. 

Kettenräder und Bremsscheiben erschweren aber auch das Wuchten. So werden bei einigen Motorrad-Modellen bei denen das Radlager auf der Zahnkranzseite nicht in die Felge, sondern im Zahnkranz integriert ist, neben dem kompletten Zahnkranz auch die äußeren Distanzhülsen und/oder Distanzscheiben zum einwandfreien Aufspannen des Hinterrades auf die Wuchtvorrichtung benötigt. Das Auswuchten ohne Zahnkranz ist nur möglich, wenn beide Radlager in die Felge eingefasst sind.

Die meisten Räder werden nach wie vor statisch auf dem Wuchtbock gewuchtet. Dazu wird die Steckachse durch die Radlager gesteckt und das Rad mit der Achse auf die beiden Lager des Wuchtbocks gelegt. Dort wird dann die Unwucht „ausgependelt“ und an den Gegenseiten der Schwerestelle das entsprechende Wuchtgewicht angebracht. Zum Wuchten werden meist Klebegewichte oder bei Speichenrädern gelegentlich Steckgewichte verwendet.

Ein dynamisches Wuchten, wie bei Pkw, wird bei Motorrädern aufgrund der schmalen Felgen nur in Ausnahmefällen durchgeführt. „Dynamisches Wuchten macht nur bei extrem breiten Chopper-Hinterrädern Sinn“, so Schelbert. „Doch selbst hier wird meist nur statisch gewuchtet.“ Manche Motorradservicebetriebe verzichten sogar gänzlich auf das Wuchten, wenn es sich um hubraumschwache Maschinen handelt. Hiervon sollte man aber absehen und zumindest beide Räder statisch wuchten. Elektronische Wuchtmaschinen rechnen sich für viele Betriebe nicht, da das Auftragsvolumen meist zu gering ist.

Der Reifenwechsel ist für die Motorradwerkstatt ein kleines, aber wichtiges Zusatzgeschäft, da hierüber meist weitere Aufträge generiert werden. „Nur diese Nebeneffekte, machen den Reifenwechsel rentabel“, so Schelbert. „Ein alleiniger Motorradreifenservice würde sich für einen Betrieb wie den meinen aber nicht tragen.“

Achtung: Hierauf ist beim Motorradreifenwechsel besonders zu achten:

  • Beim Radausbau auf die Standsicherheit des Motorrads achten. Ggf. mit Zurrgurten sichern
  • Reifen mit RDKS-Sensoren bei der Demontage nicht am Ventil abdrücken
  • Manche Vorderräder können versehentlich um 180 Grad gedreht verkehrt herum eingebaut werden. Drehrichtung des Rades mit wasserfesten Filzstift am Rad markieren
  • Bleiben die Bremszangen bei Scheibenbremsen montiert, müssen die Bremsklötze vor Montage des Rades zum sicheren Einfädeln der Bremsscheibe zurückgedrückt werden. Keinesfalls das Aufpumpen der Bremse nach der Montage vergessen, damit der Bremsdruck sofort vorhanden ist
  • Bei Trommelbremsen muss das Bremsgestänge nach Montage des Rades nachjustiert werden  
  • Nach Montage der Räder Freilauf und Spielfreiheit der Fahrwerkslagerung prüfen
  • Kettenspannung und Schwingeneinstellung nach Reifenmontage prüfen und ggf. einstellen

Hinweis
Müssen die in die Papiere eingetragenen Motorradreifen durch eine andere Größe ersetzt werden, ist immer vorab die Änderung mit einem Sachverständigen der einschlägigen Prüforganisationen zu besprechen. Für die Beurteilung von Rad-/Reifenkombinationen an Krafträdern gibt es einen Leitfaden des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV), wie hierbei vorzugehen ist.

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