Feature: Nokian fährt Reifenfabrik in Oradea hoch

“Ein Meilenstein in der Reifenproduktion”

Nokian WerkseröffnungDas Nokian-Management mit rumänischen Regierungs- und Kommunalbehörden-Vertretern sowie den Botschaftern von Finnland und Rumänien durchschnitten symbolisch das Band zur Eröffnung der Reifenfabrik.   Foto: Kay Lehmkuhl

Turbulente Zeiten hat der in den nordischen Ländern besonders präsente Reifenhersteller Nokian Tyres in den vergangenen Jahren erlebt. Durch den Wegfall des für Nokian sehr wichtigen Reifenmarktes Russland und die Abstoßung der dortigen Fabrik sah sich das Unternehmen vor eine Herkulesaufgabe gestellt. Das Reifenwerk in Russland war zudem die Lebensader des Konzerns: Im Jahr 2021 wurden etwa 80 Prozent der Pkw-Reifen von Nokian in Russland hergestellt, der Geschäftsbereich Russland und Asien machte etwa 20 Prozent des Nettoumsatzes aus. Strategische Weichenstellungen, zu denen der Bau der Reifenfabrik in den USA und der eines eigenen Testgeländes in Spanien zählten, wurden bereits vor dem gravierenden Russland-Einschnitt vorgenommen. Die Herausforderungen aber, die sich nach dem Rückzug aus Russland und der Abstoßung der Reifenproduktion auftürmten, waren immens. Das Management musste unmittelbar reagieren, um die Lieferfähigkeit für die europäischen Märkte rasch wiederherzustellen. Eigentlich wollte Nokian wachsen, der Wegfall einer riesigen Produktionseinheit verkehrte dieses Vorhaben jedoch ins Gegenteil. Nun aber ist der Neustart geglückt: In Oradea hat Nokian in Rekordzeit eine der modernsten Reifenfabriken weltweit errichtet. Das vollständig CO2-emissionsfreie Reifenwerk soll Ausdruck einer neuen Produktionskultur sein.

Sechs Millionen Reifen im Jahr

Die Gesamtinvestitionen von Nokian Tyres in das rumänische Werk belaufen sich auf 650 Millionen Euro. Die Europäische Kommission hatte auf der Grundlage der EU-Beihilfevorschriften eine rumänische Finanzbeihilfe in Höhe von 99,5 Millionen Euro zur Errichtung der neuen Reifenfabrik in Oradea genehmigt. In Rumänien steht nun die laut Hersteller “erste CO2-freie Reifenfabrik der Welt”. Das Management spricht gar von einem “Meilenstein in der Reifenproduktion”. Nokian will Anfang 2025 die Massenproduktion in Rumänien anwerfen. In der aktuellen Ausbaustufe beträgt die jährliche Kapazität rund 6 Millionen Reifen. Eine Erweiterung des Reifenwerks am rumänischen Standort ist möglich. 

Umsatzziel zwei Milliarden Euro

Mit der Eröffnung des rumänischen Reifenwerks verfügt Nokian Tyres nun also wieder über drei Produktionsstandorte. Nokian hatte im Juni ein neues Lager am US-Standort in Dayton eröffnet und damit den "Hochlauf" in der dortigen Produktionsstätte abgeschlossen. Seit 2020 produziert Nokian in der US-Fabrik im Bundesstaat Tennessee. Mit dem Hakka Ring in Santa Cruz de la Zarza verfügt Nokian Tyres mittlerweile auch über ein weiteres Testzentrum. Für die Wachstumsambitionen der Finnen ist auch dieses 60-Millionen-Euro-Projekt von zentraler Bedeutung. Über alle Geschäftsfelder hinweg erzielte der Konzern 2023 einen Nettoumsatz von 1,174 Milliarden Euro. Anlässlich der Einweihung der Oradea-Fabrik betonte der Noch-CEO Jukka Moisio erneut das Umsatzziel von zwei Milliarden Euro. Ambitioniert durchaus – schaut man aber auf das nun erweiterte Entwicklungs- und Produktionsnetzwerk, so ist dies als durchaus realisierbar und als unternehmerische Pflicht einzustufen. Die Investitionen der vergangenen Jahre müssen sich schließlich rentieren. Als auf das Ersatzmarktgeschäft fokussierter Reifenhersteller hatte Nokian lange Zeit auch konstant seine Erträge steigern können. Corona und besonders der Ukraine-Russland-Konflikt mit all seinen negativen Effekten hatte die Tendenz ausgebremst. Nokians Ersatzmarkt-Zentriertheit dürfte sich auf Sicht – wie von CEO Moisio verlangt – wieder in “hohe Gewinne” übersetzen lassen. 

Die feierliche Eröffnung der Fabrik in Oradea fand in Anwesenheit rumänischer Regierungs- und Kommunalbehörden-Vertreter, den Botschaftern von Finnland und Rumänien, dem Vorstand und Managementteam von Nokian Tyres und etwa 200 Gästen statt. „Wir freuen uns sehr, heute unsere Fabrik in Oradea einzuweihen. Sie wird unsere Kapazitäten zur Belieferung unserer Kunden in Zentraleuropa und darüber hinaus stärken und unser geplantes Wachstum in Richtung eines Nettoumsatzes von zwei Milliarden Euro unterstützen. Mit unserer vollständig CO2-freien Reifenfabrik sind wir bereit, die Branche weiterzuentwickeln und einen neuen Standard für nachhaltige Reifenproduktion zu setzen“, so Jukka Moisio. Die Reifenfabrik verwendet laut den Verantwortlichen keinerlei durch fossile Brennstoffe erzeugte Energie. Eine Kombination von Maßnahmen mache dies möglich. „Ein Teil des in der Fabrik verwendeten Stroms wird durch vor Ort installierte Solaranlagen erzeugt. Der zur Vulkanisierung der Reifen verwendete Dampf wird durch innovative Elektroboiler erzeugt, die vollständig CO2-emissionsfreien Strom anstelle der üblichen fossilen Brennstoffe wie Kohle oder Gas verwenden. Darüber hinaus ist der Reifenherstellungsprozess sehr energieeffizient, da wir nur modernste Technologie und Maschinen einsetzen“, erläuterte Adrian Kaczmarczyk, SVP Operation Excellence bei Nokian Tyres.

Am Produktionsstandort Oradea werden vorerst ausschließlich Pkw-Reifen für den zentraleuropäischen Markt gefertigt. Das Werk soll verlässliche Lieferfähigkeit auch für den deutschen Markt sichern. Für Großhandelsunternehmen, von denen einige der Einladung zur Werkseröffnung folgten, genauso wie für Kfz-Betriebe, Autohäuser und Werkstätten erwächst durch die Fabrik-Eröffnung also wieder eine Reifenmarke, die sich ertragsstark vermarkten lässt. Nokian-Produkte sind, wie unabhängige Reifentests belegen, von absolut ausgewogener Qualität. Das Image von Nokian ist hierzulande entsprechend ausgeprägt – für Servicebetriebe bedeutet dies, dass der Beratungsaufwand beim Verkauf von Nokian-Reifen überschaubar ist. Und da die Marke ihr Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft hat, eröffnet sich für die Handelsebene eine lukrative Aussicht der Partizipation. Um die Lieferfähigkeit einiger Premium-Marken ist es bekanntlich aktuell zudem nicht so optimal bestellt. Nokian will im Aftermarket genau diese Lücke nutzen. 

Das Nokian-Management wählte Oradea im Nordwesten Rumäniens als Standort für die neue Reifenfabrik nach einer Evaluierung, die mehr als 40 Standorte in verschiedenen europäischen Ländern umfasste. Zu den Kriterien für die Entscheidung zählten laut den Verantwortlichen die Qualifikation der Mitarbeiter, das Geschäftsumfeld, die Infrastruktur sowie Immobilien und Versorgungseinrichtungen, Betriebskosten und Risiken. „Die in den letzten Jahren unternommenen Anstrengungen zielen darauf ab, uns unseren Kunden noch näher zu bringen und eine solide Grundlage für zukünftiges nachhaltiges Wachstum zu schaffen. Oradea ist jetzt unser Zuhause, und wir sind entschlossen, gute Nachbarn zu sein und die Gemeinschaft, die regionale Wirtschaft und jedes Mitglied unseres Teams zu unterstützen,“ versicherte Susanna Tusa, Generaldirektorin und Vizepräsidentin von Nokian Tyres Rumänien. Durch den Bau des 650-Millionen-Euro-Werkes wird Nokian zu einem der größten ausländischen Investoren in Rumänien. Zur Finanzierung seiner Investitionen in die nachhaltige Reifenproduktion erhielt Nokian Tyres staatliche Beihilfen von der rumänischen Regierung in Höhe von etwa 100 Millionen Euro und einen Investitionskredit von der Europäischen Investitionsbank in Höhe von 150 Millionen Euro. Und nun werden in der Produktion alle Prozesse feinjustiert, bis dann Anfang 2025 die Massenproduktion anlaufen soll. Ein Team von rund 550 Mitarbeitern, darunter zahlreiche aus dem lokalen Umfeld im Kreis Bihor, soll das Werk für den Angriff auf den mitteleuropäischen Reifenmarkt heiß fahren. 

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Adrian Kaczmarczyk
Nokian Oradea
Eugen Straub
Nokian Oradea

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