Messepräsenzen auf The Tire Cologne 2024
“Nachhaltigkeit ist Zukunftsorientiertheit”
Reifen bleiben schwarz – aber der Großteil der Reifenhersteller hat die Verpflichtung zu einer nachhaltigeren Produktionsweise verinnerlicht. Über Strategien für einen effektiveren Umgang mit Ressourcen und neue Produkte sprach die Redaktion von Automotive Insights auf The Tire Cologne 2024 mit Verantwortlichen der Industrie. Einen Videobeitrag seht Ihr ebenfalls bei uns.
Die auf The Tire Cologne 2024 präsenten Reifenhersteller fokussierten nachhaltige Reifenlösungen. Im Zentrum der Halle 8 positionierte sich Continental. Die Hannoveraner reisten nach Köln, um nicht nur produktseitig zu dokumentieren, dass “Nachhaltigkeit Zukunftsorientiertheit ist”, sondern auch als Bekenntnis zur “Dialogplattform The Tire Cologne”. Timo Röbbel, Marketingverantwortlicher der Reifendivision, bekräftigte gegenüber der Redaktion, dass die TTC die “Leitmesse unserer Branche” ist. Die Frage, nicht teilzunehmen, habe sich nicht gestellt – auch aus moralischer Verpflichtung gegenüber der Branche im Ganzen. Diese Aussage konnte man durchaus auch als feinen Seitenhieb auf das Fehlen der Reifenriesen aus Frankreich, den USA und Japan verstehen, mit denen Conti im direkten Wettbewerb um Premiumanteile konkurriert. Die Messepräsenz von Conti sorgte an den drei Kölner Messetagen neben der “Bekenntnis”-Komponente vor allem für Sichtbarkeit und ein Signal der Dialogbereitschaft. “Wir suchen ganz bewusst den offenen Austausch mit den Handelsakteuren und anderen Branchenteilnehmern”, so Röbbel.
Die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit und das Entwicklungsengagement im Bereich Elektromobilität verdeutlichte Continental mit seinem offenen Standkonzept. Conti hat bereits eine weitreichende OE-Präsenz im Feld der Elektromobilität. Unter anderem rollt auch das Fahrzeugmodell Seal der aufstrebenden Marke BYD ab Werk auf Reifen von Continental. Für den chinesischen Massenmarkt liegt eine Freigabe für den SportContact 7 vor, für den Export vertraut BYD werkseitig auf den EcoContact 6 Q. Die Hannoveraner verfolgen einen anderen Ansatz als die in Sichtweite platzierte koreanische Marke Hankook. Die EV-Profile von Conti werden in Mischung und Konstruktion auf die Anforderungen von Elektrofahrzeugen angepasst. Eine eigene EV-Reifenserie hält man aus unterschiedlichen Erwägungen heraus nicht für notwendig – sie bedeute auch ein Mehr an CO2-Ausstoß, da sie zusätzlichen Aufwand in Produktion und Logistik zur Folge habe. Zudem mache sie die Bevorratung im Handel komplexer. “Um unser Geschäft zu betreiben, muss es einfach sein”, definiert Timo Röbbel. Die Produktdiversifizierung sei exakt austariert.
Unterschiedliche “Elektro”-Strategien
Bekanntermaßen fährt Hankook im Bereich Elektromobilität eine andere Strategie. Die Reifenserie iON wird öffentlichkeitswirksam im Rahmen diverser Sport-Sponsorings und durch das Engagement in der Formel E beworben. Auch auf The Tire Cologne wurde die Produktlinie in den Mittelpunkt gerückt. Mit dem iON GT erweitert der asiatische Reifenhersteller seine speziell für Elektrofahrzeuge konzipierte iON-Produktfamilie. Ihre Premieren gaben der eigens für batteriebetriebene City-Cars und Limousinen entwickelte Sommerreifen iON GT sowie der für Kompakt-SUV verfügbare iON GT SUV auf der diesjährigen Tire Cologne. Der iON GT wird ab Herbst in Dimensionen von 16 bis 20 Zoll verfügbar sein. Neues gab es von Hankook auch für das EV-Segment im Nutzfahrzeugbereich: Mit dem neuen e-Smart City AU56 zeigte Hankook einen Reifen für Busunternehmen und Verkehrsbetriebe. „Wir sind sehr stolz darauf, mit dem e-Smart City AU56 unser erstes speziell für vollelektrische Stadtbusse entwickeltes Produkt vorzustellen. Dieser Reifen steigert die Effizienz im öffentlichen Nahverkehr und bringt den Wandel zur Elektromobilität voran. Die geringe Verschleißrate ermöglicht eine langfristige Nutzung, wodurch die Kosten gesenkt werden. Zudem ist er aufgrund seines Aufbaus ideal zum Nachschneiden und für die Runderneuerung geeignet, was zur Ressourcenschonung beiträgt“, so Manfred Zoni, Vertriebsdirektor und Head of Sales Truck & Bus der Hankook Reifen Deutschland GmbH.
Digitale Effizienzstraffer
Die Verpflichtung zu mehr Nachhaltigkeit in der Reifenproduktion hat auch die Prestige-Marke Pirelli verinnerlicht. Im Zentrum des sehr italienischen Messeauftritts standen neben der Präsentation eines neuen Ganzjahresreifens – dem Powergy All Season SF – spezielle Produkte, die den Ressourcen-effizienteren Produktionsanspruch dokumentieren. So beispielsweise der Pirelli P Zero Winter 2. Insgesamt 13 Größen des Sortiments werden mit der Elect-Technologie ausgestattet, die Pirelli speziell für BEVs und PHEVs entwickelte. Diese Reifen bestehen laut Hersteller zu mehr als 50 Prozent aus bio-basierten oder recycelten Materialien. Im Gespräch mit Automotive Insights erläuterte Pierangelo Misani, Vice President Research & Development bei Pirelli, wie sehr neue digitale Möglichkeiten der Simulation und KI-optimierte Datenerhebung in der Entwicklung Prozesse straffen und Ressourcen schonen.
Von den Verantwortlichen der aufstrebenden Marken Kumho und Nexen ließ sich auf The Tire Cologne erfahren, wie der Top-Trend Preissensibilität einen Schub verleiht. Beide Hersteller konnten in den vergangenen Jahren ihre Marktanteile ausbauen. Kumho-Marketingmanager Ilhan Kurban berichtet über die letzten vier Jahre von einer Verdoppelung der Verkaufszahlen auf dem europäischen Markt. Auch Nexen hat durch umfassende Marketingmaßnahmen und ein eigenes Reifenwerk in Tschechien seine Markenwahrnehmung und die Nähe zu relevanten Automobilherstellern gesteigert. “Die Verantwortlichen haben die richtigen Entscheidungen getroffen. Ich fand es sehr mutig, in diese Reifenfabrik zu investieren”, teilt Peter Gulow als Nexen Vice President of Europe Central & East mit. Mit kürzeren Lieferketten und einer stabilen Preispolitik will man sich als verlässlicher Partner für den Handel anbieten. Zur Frage, wann denn auch Kumho ein eigenes Reifenwerk in Europa habe, verweist Ilhan Kurban auf die aktuell laufende “finale Entscheidungsphase”. Auch Kumho wird also wohl in absehbarer Zeit den Standort für eine europäische Fabrik bekanntgeben.
Kumho und Nexen fahren groß auf
Nexen Tire zeigte auf The Tire Cologne 2024 der Öffentlichkeit erstmals die beiden Profile Winguard Sport 3 und Wingard Ice 3. Neben dem Debüt dieser beiden Reifen für den alpinen und nordischen Wintermarkt wollten die Koreaner die Aufmerksamkeit auch auf ihr OE-Engagement im Bereich Elektromobilität lenken. Ausgestellt wurde der Kia EV6, bereift mit dem Nexen N'Fera Sport SUV EV. Kumho wartete seinerseits mit neuen Sommerreifen auf, mit der die Marke im Hochleistungssegment angreifen möchte: Der Ecsta Sport und der Ecsta Sport S sollen in 95 Größen von 17 bis 22 Zoll “EV-Ready” dem Handel zur Verfügung gestellt werden. Die Produktion startet laut den Verantwortlichen in der zweiten Jahreshälfte. Elektro-strategisch folgt also auch Kumho einer “adaptiven” Strategie. “Eine eigene Linie für Elektrofahrzeuge würde unser Portfolio zu unübersichtlich machen”, so Ilhan Kurban. Generell wolle man für mehr Katalogs-Transparenz die Namensgebung modifizieren. Eine weitere zentrale Information am Stand: Kumho kehrt zurück in das Geschäft mit Lkw-Reifen.
“Premium-like” sieht Verkaufsleiter Jürgen Koch die von ihm vertretene Marke Falken unterwegs. Seit einem “strategischen Wechsel im Retail-Business” habe sich die Sumitomo-Marke in den vergangenen zehn Jahren hierzulande eine sehr gute Reputation erarbeitet. Und auch in den ersten Monaten des Jahres 2024 zeige sich eine deutliche Wachstumstendenz. In der Marktbearbeitung geht Falken laut Koch aber weiterhin besonnen vor. Sell-out-Maßnahmen seien wichtig, Sell-in-Getriebene nicht so sehr – eine großvolumige Bevorratung sei auf Seiten des Handels eher out. Das immer attraktiver werdende Segment All-Season bedient Falken seit vielen Jahren bereits mit qualitativ und preislich soliden Produkten. Und auch im High-Performance-Bereich ist Falken eine etablierte Größe der Reifenwelt.
Expansive Chinesen
Der Expansionsdrang chinesischer Reifenhersteller in die europäischen Märkte wurde auf der diesjährigen The Tire Cologne besonders sichtbar. Linglong beispielsweise fuhr groß auf – in Messeauftritt und Produktformaten. Auch Prinx präsentierte sich als potenter chinesischer Akteur mit europäischen Vertriebsverantwortlichen. Triangle, Sailun und ZC Rubber verfahren mittlerweile in ähnlicher Weise. Man vertraut etablierten Persönlichkeiten mit Marktkenntnissen und versucht so Vertrauen im Handel aufzubauen. Einer dieser Branchenkenner ist Wolf Fuder. Linglong hat sich die Dienste des Marketingspezialisten eingekauft. Das Ziel ist klar: Mehr Markenwahrnehmung in Europa. Mit dem gleichzeitigen Aufbau von Produktqualität durch europäische Entwicklungsteams und dem Reifenwerk in Serbien will Linglong in Erstausrüstung und Ersatzmarkt in neue Regionen vorstoßen. Für den Hersteller Prinx Chengshan wirkt Thomas Wohlgemuth seit 2019 in verantwortlicher Position. Umfassende Kenntnisse erlangte Wohlgemuth über seine Tätigkeiten für Pirelli und Aeolus. Auch er berichtete auf der TTC von großen strategischen Plänen und der Markteinführung des Sommerreifens Aquila Rev sowie des Van-Ganzjahresreifens Vanea 4S. Komplett neue Möglichkeiten sieht der Prinx-Europe-Geschäftsführer Thomas Wohlgemuth im Lkw-Bereich. Das Unternehmen informierte auf der TTC über eine Kooperation mit dem Runderneuerer Marangoni.
Asiatischen Hunger verkörperten auf The Tire Cologne auch Giti, Maxxis mit den Reifenneuheiten Victra Sport 6 VS6 und Premitra 6 HP6 sowie die Marke Kenda. Preisgünstigere Alternativen haben im Consumer- und im Commercial-Segment in Europa reichlich Entwicklungspotenzial. Nur zu sehr auf den Füßen sollten sich die Akteure aus Fernost gegenseitig nicht herumstehen. Nicht für alle asiatischen Marken wird auf dem europäischen Markt Platz sein. Besonders nicht, wenn die Kundenansprache minderwertig ist. Die oben genannten Akteure zählen absolut nicht zu den adressierten. Wie sich aber zahlreiche kleinere Hersteller in den “chinesischen” Arealen der Messe Köln präsentieren, muss unbedingt als kontraproduktiv beschrieben werden. Leere Stände kennzeichneten diese Messe-Präsenzen. Und wenn man sich einem der Aussteller näherte, musste für die ohnehin sperrige Kommunikationsaufnahme auch noch eine beispiellose Smartphone-Fixiertheit durchbrochen werden. Nun gut, wer es sich leisten kann, derartiges Personal drei Tage nach Köln zu entsenden, hat vermutlich ohnehin andere Pläne oder Möglichkeiten.
Zusammengefasst gilt: The Tire Cologne 2024 war aus unserer Fachjournalisten-Sicht ein überaus gelungenes Event – als Themen-Generator, Dialogplattform und auch hinsichtlich der Qualität des Networkings und der Kundenanbahnung. Auf Basis dieser durchaus allgemein empfundenen Bilanz haben die Verantwortlichen der Koelnmesse bereits einen Termin für die nächste TTC-Ausgabe festgelegt: 2026 findet die Messe vom 9. bis 11. Juni statt.