Motorsport will “grüner” werden

Wie Reifenhersteller als Nachhaltigkeitsbeschleuniger wirken

Pirelli_DTM_2023Pirelli ist als sportlich assoziierte Marke im Motorsport präsent – in der DTM und Formel 1 allerdings durchaus mit Fokus auf mehr Nachhaltigkeit.   Foto: Kay Lehmkuhl

Wie wir in unserer Motorsport-Sektion bereits mehrfach berichteten, ist der Motorsport für Reifenhersteller ein zentrales Betätigungsfeld, um die Markenwahrnehmung zu pushen und einen substanziellen Technologietransfer zu generieren. Die größte Bühne bietet ohne Zweifel die Formel 1. Pirelli ist seit Jahren Reifenpartner der Königsklasse im Motorsport. Das Engagement der Italiener beschränkt sich aber nicht nur auf diese Serie – auch in der DTM oder in relevanten Motorrad-Wettbewerben wie Superbike-WM oder der Moto2 und 3 sorgt Pirelli für den nötigen Racegrip. 

Die Formel 1 beliefert Pirelli seit 2011 mit Reifen. Im vergangenen Jahr hat sich die italienische Marke gegen Bridgestone in einer neuen FIA-Ausschreibung behaupten können. Sicher bis 2027, optional auch bis 2028 werden P-Zero-Gummis aus dem rumänischen Reifenwerk von Pirelli geliefert. Seit der Umstellung auf die breiteren Formel-1-Reifenspezifikationen im Jahr 2017 ist dieses Werk die Hauptproduktionsstätte, das Werk im türkischen Izmit dient als Back-up. Zuvor war es laut Motorsportchef Mario Isola umgekehrt. Auch nach 13-jähriger Partnerschaft ist im Hause Pirelli keine Müdigkeit im Engagement als Reifenlieferant zu erkennen – auch nicht mit Blick auf ein neues Reglement in der Formel 1 ab 2026. Dieses wird ein neues Reifenkonzept erforderlich machen: Das neue Reglement sieht eine größere Abhängigkeit von elektrischer Energie, aber auch nachhaltige Kraftstoffe und mehr Leistung vor. Ein Wechsel von 18- auf 16-Zoll-Reifen im Sinne einer Gewichtsreduzierung, der aber wohl Nachteile hinsichtlich einer Erhitzungsanfälligkeit hätte, soll wohl nicht kommen. Sicher ist: Pirelli will sich den Herausforderungen stellen, wie auch immer diese aussehen werden. 

Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt im Motorsport und der Reifenentwicklung immer mehr an Relevanz. Auch wenn es der Grundidee – also ein Performance-Maximum im ständigen Grenzbereich zu ermöglichen – eigentlich widerspricht. Pirelli liefert als erstes Unternehmen eine komplette Range FSC-zertifizierter Reifen für den Motorsport. Seit dieser Saison sind alle Reifen, die in der FIA Formula One World Championship eingesetzt werden, mit dem FSC-Logo gekennzeichnet. Die Zertifizierung soll bescheinigen, dass der gesamte Naturkautschuk des Reifens die ökologischen und sozialen Kriterien des Forest Stewardship Council (FSC) erfüllt. Ein noch stärkeres Signal für Nachhaltigkeitsbestrebungen ist sicher das Engagement in Rennserien, die auf neue Antriebsformen setzen. Wie die Formel E, die in den letzten Jahren konstant mehr Beachtung generieren konnte und in der sich der koreanische Reifenhersteller Hankook als Partner etabliert hat. Der vorige Reifenlieferant lautete Michelin. 

Formel E führt SCh-Index an

Wie die aktuelle breit gefahrene iON-Kampagne dokumentiert, lenkt Hankook seinen Vermarktungsfokus sehr stark auf EV-Reifen und die eigene Entwicklungskompetenz in diesem Segment. Insofern ist die Reifenpartnerschaft mit der Formel E Ausdruck einer konsistenten Strategie. Umso mehr, wenn man die von Hankook kommunizierten key facts zu den 18-Zöllern betrachtet. Etwa 30 Prozent des Reifens für die Gen3-Boliden sollen aus nachhaltigen Materialien bestehen, der Kohlenstoff-Fußabdruck der Formel-E-Reifen soll bei der Produktion um 15,6 Prozent geringer sein, als bei der Produktion herkömmlicher Rennreifen. Zudem werden laut Hankook alle eingesetzten Reifen einem Recyclingprozess zugeführt. Das britische Unternehmen Enovation Consulting untersuchte anhand von 25 Kriterien die Nachhaltigkeit von weltweit 106 Motorsport-Meisterschaften. Diese wurden auf Grundlage von Richtlinien und Modellen von UN, EU und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ermittelt. Die ABB FIA Formula E World Championship führt den Sustainable Championship Index (SChI) zum dritten Mal in Folge an. Die vollelektrische Serie verwies die Königsklasse Formel 1 auf den zweiten Rang. Die dritte Position teilen sich die Serien Extreme E und MotoGP. Ab der Saison 2026/2027 wird übrigens Bridgestone als exklusiver Reifenlieferant der Formel-E-Weltmeisterschaft wirken.

Motorsport als Labor und Katalysator für Innovation

Continental ist als Reifenmarke im Motorsport traditionell eher in Nischenbereichen präsent. In der vollelektrischen Rennserie Extreme E erproben die Hannoveraner aktuell ihr Vermögen im Bereich der Elektromobilität. „In der Extreme E testen wir unsere neuesten Technologien und Entwicklungen unter besonders extremen und einzigartigen Bedingungen. Diese Ergebnisse werden uns bei der Einführung nachhaltiger Lösungen in unserer Serienproduktion unterstützen“, heißt es seitens des Unternehmens. Mehr Nachhaltigkeit will auch Michelin in den Rennsport bringen. Dieser wirkt laut den Verantwortlichen unverändert als Labor und Katalysator für technologische Innovation. Reifen der Marke enthalten immer höhere Anteile an biologisch gewonnenen und recycelten Rohstoffen. Für die MotoE-Weltmeisterschaft 2024 hat Michelin jüngst Reifen vorgestellt, die laut Unternehmensangaben zu über 50 Prozent aus erneuerbaren oder recycelten Materialien bestehen. Und auch in der Königsklasse MotoGP verstärkt der französische Reifenhersteller sein Nachhaltigkeitsbestreben – die Anteile recycelter Kunststoffe sowie von Orangen- und Zitronenschalen in der Reifenproduktion sollen vergrößert werden. Zudem wurden in den vergangenen Jahren die Kontingente an gelieferten Reifen verringert. 

Der Motorsport will “grüner” werden – in nahezu allen relevanten Rennserien hat sich in den vergangenen Jahren eine zunehmende Dynamik hin zu mehr Nachhaltigkeit entwickelt. Zudem haben neue Serien – vornehmlich elektrischer Art – den Motorsportkalender bereichert. Und auch in diesen lassen sich die Parameter Markenpräsenz und Technologietransfer vorzüglich vereinen. Nicht alles muss neu gedacht werden. Adaptionen und Nachjustierungen zeigen, wofür der Motorsport seit jeher steht: Technologische Innovationen, die auch künftig Performance-Sprünge möglich machen werden, die aber konzentrierter in Richtung einer nachhaltigen Ausprägung zielen. 

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