Bosch Tech Day 2024

“Bosch ist längst auch ein Software-Unternehmen”

Dr. Stefan Hartung, Dr. Markus Heyn BoschWollen mit Bosch das Umsatzpotenzial im Feld des softwaredefinierten Fahrzeugs nutzen: die Top-Manager Dr. Stefan Hartung (l.) und Dr. Markus Heyn.  Foto: Bosch

48.000 Mitarbeitende beschäftigt Bosch für die Programmierung von Software-Codes. Diese Codes wirken unter anderem in den Fertigungslinien großer Industrieunternehmen, in medizinischen Geräten oder auch auf der Internationalen Raumstation ISS. Die überwiegende Mehrheit der IT-Spezialisten – nämlich 42.000 – sind jedoch im Geschäftssektor Mobility tätig, in dem Bosch seit Jahresbeginn seine Tätigkeiten in den drei definierten Zukunftsfeldern Software, Halbleiter und Fahrzeugrechner bündelt. Während ein Teil der Beschäftigten auch an den deutschen Bosch-Standorten arbeitet, sind viele beim indischen Tochterunternehmen Bosch Global Software Technologies angestellt. Dieses ist nach Aussage der Verantwortlichen in den vergangenen 25 Jahren “massiv gewachsen” und betreibt mittlerweile Niederlassungen in Mexiko und Vietnam. Angesichts dieser Basis bilanziert Dr. Stefan Hartung, der Vorsitzende der Bosch-Geschäftsführung: “Bosch ist längst auch ein Software-Unternehmen. Wir bringen unternehmensweit mit Hilfe unseres breiten Domänenwissens Codezeilen direkt in Produkte.”

Stand-Alone-Software gewinnt an Bedeutung

Kompetenzen im Software-Bereich sind bei Bosch also unzweifelhaft vorhanden. Das bestätigt auch die Zahl von 250 Millionen Steuergeräten, die der Konzern jedes Jahr an Kunden auf der ganzen Welt liefert. Parallel zu solchen Programmen für Produkte wächst laut Hartung jedoch auch das Geschäft mit sogenannter „eigenständiger Software“, die unabhängig vom Produkt entwickelt und vertrieben werden kann. “So bieten wir beispielsweise eine Software für eine Videofunktion an, mit der Fahrzeuge ihr Umfeld besser erkennen können. Entscheidend dabei: Das Programm läuft hardwareunabhängig auf Chips verschiedener Hersteller”, betont der Bosch-Chef. Er ist überzeugt: “Der Bedarf an solch eigenständiger Software sowie an digitalen Diensten wird in den kommenden Jahren stark anziehen. Der Siegeszug der Software wird die Autobranche umfassend umwälzen.”

Vor allem mit Blick auf das potenzielle Marktvolumen bestätigt eine aktuelle McKinsey-Studie diese Annahme: Demnach erreicht der globale Markt für Automobilsoftware und -elektronik im Jahr 2030 voraussichtlich 462 Milliarden US-Dollar. Neue Fahrzeugmodelle werden bereits heute immer stärker von der Software her gedacht und entwickelt, sodass Experten davon ausgehen, dass sich der Software-Anteil im Auto ab 2023 verdreifachen wird. Der Hersteller Audi hat auf diesen Trend erst kürzlich mit der Einrichtung des neuen Vorstandsressorts “Innovation und Software-Defined-Vehicle“ reagiert. An diesem Wachstumsmarkt will Bosch partizipieren und weiter ein gefragter Partner der Automobilindustrie bleiben. “Bis zum Ende der Dekade wollen wir mit Software Umsätze in Milliardenhöhe erwirtschaften”, gibt Hartung als Ziel aus.  

„Vor uns liegt das Zeitalter des softwaredefinierten Fahrzeugs“, ist sich auch Dr. Markus Heyn, Bosch-Geschäftsführer und Vorsitzender des Geschäftssektors Mobility, sicher. Er ergänzt: „Für Bosch ist das eine gute Nachricht, denn wir können beides: Hard- und Software. Wir sind eines der wenigen Unternehmen, welches das Zusammenspiel von Automobilelektronik und Cloud umfassend beherrscht.“ In ähnlicher Weise hatte sich auch das Continental-Management auf der diesjährigen Hauptversammlung des Hannoveraner Zulieferers geäußert. 

Hard- und Software-Kompetenz im Hause Bosch

Software Defined Vehicles (SDV) verändern auch die Anforderungen an die Hardware und die Fahrzeugarchitektur. Nach Einschätzung der Bosch-Experten geht die Entwicklung “weg von einer domänenspezifischen, hin zu einer zentralisierten, domänenübergreifenden IT- und Elektronik-Architektur mit wenigen, dafür jedoch sehr leistungsfähigen Fahrzeugcomputern und Sensoren”. Statt rund 100 Steuergeräten verschiedener Hersteller benötige ein vollständig softwaredefiniertes Fahrzeug weniger als ein Dutzend Fahrzeugcomputer für die Steuerung. “Hierfür ist es notwendig, domänenspezifische Funktionen in modernen Fahrzeugcomputern zu vereinen”, betonen die Verantwortlichen. 

Gemeinsam mit Qualcomm hat Bosch Anfang des Jahres einen neuen Fahrzeugcomputer vorgestellt, der Infotainment- und Fahrerassistenzfunktionen vereint. Durch diese Fusion bilanziert der Zulieferer für Autobauer ein Sparpotenzial bei Steuergeräten von bis zu 30 Prozent. Zudem verringere sich die Kabelanzahl, es werde weniger Bauraum benötigt und das Gewicht sinke. Eigenen Angaben zufolge hat Bosch in den vergangenen drei Jahren bereits knapp vier Milliarden Euro mit modernen Fahrzeugcomputern umgesetzt.

Im Software-Bereich wiederum sieht das Bosch-Management wie erwähnt enormes Potenzial in einzelnen Software-Funktionen, die losgelöst von der Hardware als Lizenzprodukt auf den Markt kommen können. Ein Beispiel hierfür ist die Systemlösung Vehicle Motion Management (VMM). Diese soll das Fahrerlebnis sicherer, komfortabler und effizienter machen, indem eine Software die Antriebs-, Brems- und Lenksysteme inklusive Dämpfung optimal koordiniert und ansteuert. 

“Wir erwarten allein für das VMM bereits 2030 einen Umsatz in dreistelliger Millionenhöhe. Der Anteil der Stand-Alone-Software wird dabei in Zukunft deutlich höher sein als der der klassischen Embedded Software”, blickt Markus Heyn voraus. “Insgesamt wollen wir mit unseren Mobilitätslösungen in der neuen Aufstellung bis 2029 einen Umsatz von mehr als 80 Milliarden Euro weltweit erzielen. Dazu sollen natürlich auch Lösungen aus dem Bereich des Automatisierten Fahrens beitragen: Das SDV ist hier eine ganz wesentliche Voraussetzung für die weitere Entwicklung.” Wesentliche Impulse erwartet Bosch beim Automatisierten Fahren auch durch Fortschritte auf dem Feld der Künstlichen Intelligenz (KI). 

Partnerschaften und Politik 

Bei der Erreichung der genannten Ziele ist nach Überzeugung von Bosch auch ein kooperativer Ansatz vonnöten. Nur mit firmenübergreifenden Partnerschaften ließe sich das riesige Potenzial von Software und KI ausschöpfen, meint Dr. Stefan Hartung: “Kaum ein Unternehmen kann das im Alleingang schaffen. Dabei bietet insbesondere Open-Source-Software die Möglichkeit, Kompetenzen über Unternehmen hinweg zu bündeln, Kosten zu sparen und standardisierte Lösungen zu schaffen.“

An dieser Stelle sei jedoch auch die Politik gefragt, um etwa im Hinblick auf KI Planungssicherheit zu schaffen und teure und aufwendige Einzelfallprüfungen zu vermeiden, führt der Bosch-Chef aus. „Die EU muss den ‚AI Act‘ nun rasch in Standards und Normen umsetzen, denn Regulierung ist zwar notwendig, sie darf das Tempo der Technik aber nicht unnötig drosseln oder sogar Innovationen verhindern“, so Hartung weiter. Neben den eigenen Kompetenzen sind diese beiden Punkte nach Meinung des Bosch-Chefs entscheidend, um seine in Renningen formulierte Vision Wirklichkeit werden zu lassen: “So wie es heute nahezu kein Auto ohne ein Bosch-Teil an Bord gibt, so wird in Zukunft kein Fahrzeug ohne Software von Bosch unterwegs sein.”

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