Handel mit Schmierstoffen

“Die strategische Flexibilität wird durch eine Single-Brand-Strategie massiv eingeschränkt”

Norbert Mehl eViskoNorbert Mehl, Mitbegründer der eVI Lubricants Germany GmbH.  Foto: eVisko

Jedes Segment im Automotive Aftermarket hat seine Besonderheiten. Mit der eVI Lubricants Germany sind Sie im Schmierstoffbereich mit der entsprechenden Expertise ausgestattet. Was sind ihrer Ansicht nach die Kernmerkmale des Handels mit Schmierstoffen aktuell und wie hat sich das Geschäft in den vergangenen Jahren gewandelt?

Norbert Mehl: Der Handel mit Schmierstoffen im Automotive Aftermarket hat sich in den letzten Jahren signifikant gewandelt, was sich in mehreren zentralen Trends widerspiegelt. Ein wesentlicher Treiber ist die technologische Weiterentwicklung moderner Motoren und Maschinen, die zunehmend höhere Anforderungen an Schmierstoffe stellen. Diese müssen nicht nur leistungsfähiger, sondern auch umweltfreundlicher sein, um den strengeren Emissionsvorgaben gerecht zu werden. In den letzten Jahren ist der Anteil synthetischer Schmierstoffe deutlich gestiegen, was die zunehmende Bedeutung von Effizienz und Nachhaltigkeit in der Branche unterstreicht. Parallel dazu sind regulatorische Anforderungen strikter geworden, insbesondere im Hinblick auf Umweltschutz und Sicherheit. Unternehmen mussten ihre Produktlinien anpassen, um sowohl biologisch abbaubare als auch emissionsarme Lösungen anzubieten. Diese Entwicklung hat den Markt für nachhaltige Schmierstoffe stark wachsen lassen.

Und wie haben sich die Kundenerwartungen geändert?

Norbert Mehl: Der Online-Vertrieb und die digitale Kommunikation mit Kunden haben erheblich an Bedeutung gewonnen. Während früher persönliche Beziehungen im B2B-Bereich dominierten, treffen heute immer mehr Kunden ihre Kaufentscheidungen online, was Unternehmen zwingt, ihre digitalen Vertriebsstrategien auszubauen und anzupassen. 

Zusätzlich hat sich die Kundenerwartung verändert: Maßgeschneiderte Angebote, transparente Produktinformationen und technischer Support sind heute entscheidend für die Kaufentscheidung. In diesem Zusammenhang ist auch die Nachfrage nach Schulungen und weiterführender Beratung gestiegen, da die Komplexität moderner Schmierstofflösungen zunimmt.

Der Markt selbst ist fragmentierter und wettbewerbsintensiver geworden. Während große Marken weiterhin dominieren, haben auch kleinere Anbieter mit innovativen Produkten ihre Positionen gestärkt. Insgesamt hat der Wandel der letzten Jahre gezeigt, dass Unternehmen, die flexibel auf technologische und regulatorische Entwicklungen reagieren und ihre digitale Präsenz stärken, einen klaren Wettbewerbsvorteil haben.

Für Kfz-Betriebe sind die Parameter Lieferfähigkeit und Preise von zentraler Bedeutung. Wie stehen Sie zu Single-Brand-Strategien?

Norbert Mehl: Die Anwendung einer Single-Brand-Strategie ist vor dem Hintergrund der aktuellen Marktdynamik nicht mehr zeitgemäß und birgt signifikante Risiken sowohl für Kfz-Betriebe als auch den Handel. Diese Strategie, die Betriebe dazu verpflichtet, ausschließlich Produkte eines einzigen Herstellers zu beziehen, geht oft mit vertraglichen Bindungen und umfangreichen Verpflichtungen einher. Solche Vereinbarungen umfassen nicht selten auch Vorgaben zur Markenpräsentation, Abnahmeverpflichtungen und Einflussnahme auf das Shop- oder Werkstatt-Design. Zwar kann diese enge Verbindung zwischen Handel, Betrieb, Marke und Kunden potenziell Vorteile in Form von Markenloyalität bieten, doch resultiert daraus gleichzeitig eine erhebliche Einschränkung der unternehmerischen Flexibilität.

Vor allem in Hinblick auf die Preisgestaltung und Lieferfähigkeit, zwei zentrale Parameter für Händler und Kfz-Betriebe, ist die Single-Brand-Strategie als risikobehaftet zu bewerten. Durch die ausschließliche Abhängigkeit von einem Hersteller geraten Unternehmen in eine Position der begrenzten Handlungsfähigkeit, insbesondere wenn sich Marktbedingungen, wie etwa Preiserhöhungen oder Lieferengpässe, ändern. Sollte es beim bevorzugten Hersteller zu Störungen in der Lieferkette kommen oder drastische Preisanpassungen vorgenommen werden, ist das Unternehmen nur bedingt in der Lage, kurzfristig zu reagieren, was seine Wettbewerbsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Zudem limitiert diese Bindung die Möglichkeit, alternative Produkte zu evaluieren oder auf technologische Innovationen und kostengünstigere Alternativen zuzugreifen. In einem zunehmend wettbewerbsintensiven Marktumfeld kann dies erhebliche Wettbewerbsnachteile bedeuten. Die strategische Flexibilität, die notwendig ist, um auf Innovationen oder Markttrends zu reagieren, wird durch eine Single-Brand-Strategie massiv eingeschränkt.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Beratungsneutralität. Nur durch eine markenunabhängige Positionierung kann ein Kfz-Betrieb oder Händler gewährleisten, dass er seinen Kunden die bestmöglichen Lösungen in Bezug auf Preis-Leistungs-Verhältnis, Qualität und Verfügbarkeit bietet. Dies ist besonders im Hinblick auf die langfristige Kundenbindung von großer Bedeutung, da die Unabhängigkeit in der Beratung das Vertrauen in die Kompetenz des Betriebs stärkt.

Wenn wir uns Produkteinführungen anschauen – was sind hierbei die Herausforderungen im Markt für Schmierstoffe?

Norbert Mehl: Die Einführung neuer Schmierstoffe stellt Unternehmen vor diverse Herausforderungen, die durch technologische, regulatorische und marktseitige Faktoren bedingt sind. Der kontinuierliche Fortschritt im Automobil- und Industriesektor erhöht die Anforderungen an moderne Schmierstoffe. Diese müssen nicht nur effizienter und leistungsfähiger werden, sondern auch höheren Temperaturen standhalten und strengere Emissionsstandards erfüllen. Die Entwicklung solcher Produkte erfordert signifikante Investitionen in Forschung und Entwicklung, insbesondere um sicherzustellen, dass neue Schmierstoffe mit bestehenden Maschinen kompatibel sind. Hierbei stellt die Materialverträglichkeit mit Dichtungen und Kunststoffen eine zusätzliche Komplexität dar.

Regulatorische Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit, spielen ebenfalls eine zentrale Rolle. Die strengen Umweltauflagen betreffen sowohl die Zusammensetzung als auch die Herstellung und Entsorgung von Schmierstoffen. Hersteller müssen sich dabei an Normen wie API, ACEA oder ILSAC halten, was zusätzliche Tests und Zertifizierungen erfordert und den Entwicklungsprozess sowohl zeitlich als auch finanziell belastet.

Der stark fragmentierte Schmierstoffmarkt, der von etablierten Marken und zahlreichen kleineren Anbietern geprägt ist, verschärft den Wettbewerb. Neue Produkte müssen sich durch technologische Innovation und ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis differenzieren, um im Markt bestehen zu können. Besonders im B2B-Segment spielt Markenloyalität eine entscheidende Rolle, da viele Kunden langjährige Beziehungen zu bestimmten Herstellern pflegen. Eine erfolgreiche Markteinführung erfordert daher nicht nur ein innovatives Produkt, sondern auch eine durchdachte Vertriebs- und Marketingstrategie. Die Akzeptanz neuer Schmierstoffe hängt maßgeblich davon ab, wie gut die Endnutzer über die Vorteile und Anwendungen informiert werden. Hierfür sind enge Kooperationen mit Vertriebspartnern sowie gezielte Schulungen unerlässlich.

Wie bedeutsam sind die digitalen Vertriebskanäle? Wie bewegt sich die eVI Lubricants Germany im Bereich des E-Commerce?

Norbert Mehl: Digitale Vertriebskanäle haben in den letzten Jahren im Schmierstoffmarkt enorm an Bedeutung gewonnen, insbesondere im Bereich der Kleingebinde und im B2C-Segment. Sie bieten uns die Möglichkeit, eine größere Reichweite zu erzielen und unsere Produkte geografisch uneingeschränkt anzubieten. Dies schafft nicht nur Flexibilität für den Handel, sondern auch für Endverbraucher, die zunehmend auf einfache und schnelle Online-Käufe setzen.

Für uns sind digitale Kanäle essentiell, um unsere Kunden effizienter zu erreichen und zu betreuen. Neben dem Verkauf bieten wir umfassende Informationen, wie technische Datenblätter, Anwendungshinweise und Schulungsvideos, die unsere Kunden bei der richtigen Anwendung der Produkte unterstützen. Die Digitalisierung ermöglicht uns außerdem, schneller auf Marktveränderungen und Kundenfeedback zu reagieren, was die Anpassung unserer Angebote erleichtert.

Darüber hinaus nutzen wir digitale Medien nicht nur für den Vertrieb, sondern auch, um unsere Markenbotschaft zu kommunizieren und die Kundenbindung zu stärken. E-Commerce ist für uns nicht nur ein Verkaufstool, sondern auch eine Plattform, um gezielte Marketingstrategien zu entwickeln und personalisierte Angebote zu unterbreiten.

Wir kombinieren digitale Kanäle mit direkter Kundenbetreuung, Schulungen und Events vor Ort, um als umfassender Partner im Schmierstoffhandel aufzutreten. Wir stehen sowohl der Industrie als auch dem Handel als kompetenter Ansprechpartner zur Seite, bieten Seminare, Schulungen und nehmen aktiv an Fachkongressen teil. So tragen wir nicht nur zur Weiterbildung bei, sondern schaffen auch eine enge Verbindung zu unseren Kunden und der Branche.

Die Elektromobilität hat hierzulande noch keine wirkliche Dynamik entfaltet. In anderen Ländern aber sehr wohl. Wie schnell erwarten Sie in Deutschland einen Kipppunkt hin zum Volumengeschäft und wie wird Ihrer Einschätzung nach diese Antriebsart den Markt für Schmierstoffe verändern?

Norbert Mehl: Es stimmt, dass die Elektromobilität in Deutschland langsamer Fahrt aufnimmt als in anderen Ländern wie Norwegen oder China, aber die Entwicklungen zeigen in eine klare Richtung. Schätzungen zufolge könnten bis 2030 rund 15 Millionen Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen fahren, was etwa 30 Prozent der Gesamtflotte ausmachen würde. Ich erwarte, dass Deutschland in den nächsten 5 bis 10 Jahren einen Kipppunkt erreicht, ab dem Elektrofahrzeuge signifikant an Marktvolumen gewinnen. Die verbesserte Ladeinfrastruktur, sinkende Batteriekosten und staatliche Förderungen werden diesen Wandel weiter beschleunigen. International wird der Markt laut Prognosen der IEA bis 2030 auf rund 230 Millionen Elektrofahrzeuge anwachsen – ein Trend, der auch den deutschen Markt massiv beeinflussen wird.

Für den Schmierstoffmarkt wird dieser Wandel tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen. Elektrofahrzeuge benötigen weniger Schmierstoffe als konventionelle Fahrzeuge, und es wird erwartet, dass der Markt für Motoröle bis 2030 um bis zu 30 Prozent schrumpft. Gleichzeitig steigt der Bedarf an speziellen Schmierstoffen für elektrische Antriebe und Kühlsysteme, die den neuen technischen Anforderungen gerecht werden müssen. Neben der Elektromobilität beobachten wir auch andere alternative Antriebsformen und Technologien sehr genau, wie synthetische Kraftstoffe, Wasserstoffantriebe und alternative Verbrennungstechnologien. Diese Entwicklungen werden ebenfalls den Markt für Schmierstoffe nachhaltig verändern. Um vorausschauend planen zu können, schulen und informieren wir unsere Kunden gezielt, sodass sie optimal auf die kommenden Veränderungen vorbereitet sind und ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig sichern können.

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