Recruitingprozesse und die Suche nach neuen Mitarbeitenden sind für Firmeninhaber angesichts des Fachkräftemangels sowie einer hohen Bereitschaft zu beruflicher Veränderung vertrautes Terrain. Nach vielen Jahren im Berufsleben greifen in diesen Fällen mitunter Automatismen, das Angebot an unterstützenden Tools und Services ist groß und es gibt einen gewissen Erfahrungsschatz, auf den sich in solchen Fällen bauen lässt. Gänzlich anders verhält es sich jedoch, wenn sich irgendwann die Frage nach einem Nachfolger für die eigene Position stellt. „Betriebsinhaber, die abgeben, machen das genau einmal in ihrem Leben. Die haben dann einfach nicht die Erfahrung und wissen nicht: Was ist jetzt der nächste Schritt? Was muss ich jetzt machen?”, beschreibt Rolf Jansen im Podcast mit Automotive Insights die Besonderheit dieser Situation. Der gelernte Versicherungsmakler ist inzwischen Geschäftsführer der Dealag GmbH, die sich auf die Themen Nachfolgersuche und Betriebsübergabe bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) spezialisiert hat. Neben der bereits angesprochenen fehlenden Erfahrung aufseiten eines Betriebsinhabers ist es vor allem die Komplexität eines Übergabeprozesses, die für Rolf Jansen den Ausschlag für die Spezialisierung in diese Richtung gab. „Wenn man den Prozess noch nie gemacht hat, ist es für jemanden totales Neuland und man kennt die einzelnen Steps auch nicht”, so Jansen. Er ist zudem überzeugt: „Ein geeigneter Nachfolger ist sogar noch schwieriger zu finden als gute Mitarbeiter.”
Auch innerhalb der Goodyear Retail Systems (GRS) ist man sich dieser Problematik bewusst. „Der demografische Wandel und die unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen der nachfolgenden Generationen führen dazu, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, dass die Kinder eines Unternehmers oder einer Unternehmerin Interesse daran haben, den elterlichen Reifenfachhandelsbetrieb fortzuführen”, teilt uns die Zentrale mit. Und verweist in diesem Zuge zugleich auf notwendige Schritte: „Daher ist es zunehmend erforderlich, aktiv auf dem Markt nach geeigneten Nachfolgern mit unternehmerischem Wissen und Engagement zu suchen oder innerhalb des bestehenden Mitarbeiterteams langfristig eine Nachfolge zu entwickeln.”
Entlastung im Tagesgeschäft
Besonders herausfordernd gestaltet sich laut Rolf Jansen die Vorbereitung und Begleitung des Übergabeprozesses parallel zum eigentlichen Tagesgeschäft. Gerade in kleineren Handwerks- oder Kfz-Betrieben mit nur wenigen Mitarbeitenden ist der Inhaber stark in die täglichen Arbeiten eingebunden. Zusätzlich dazu Fragen potenzieller Kaufinteressenten und Nachfolger zu beantworten oder gar Verhandlungen zu führen, erfordert enormen Aufwand. Genau hier setzt die Dealag mit ihren Dienstleistungen an. Wie auf einer Kontaktbörse können sich Unternehmen, bei denen die Nachfolgersuche ansteht, auf der Dealag-Plattform in anonymisierter Form präsentieren. Interessenten erfahren dann nach der Unterzeichnung einer Verschwiegenheitsklausel in einem geschützten Bereich sämtliche relevanten Details über das Unternehmen.
Den Vorteil dieses Vorgehens beschreibt Rolf Jansen wie folgt: „Wir heben den Interessenten durch diese strukturierte Information auf ein bestimmtes Level. Und wenn er sich ab diesem Level dann mit dem Unternehmer trifft, wird nicht mehr über Banalitäten gesprochen.” So würde insbesondere verhindert, dass Betriebsinhaber bei mehreren Interessenten immer wieder die gleichen Fragen beantworten und der Prozess jedes Mal von vorne beginnt. Vom Nutzen der Services der Dealag ist auch der Zentralverband Karosserie- und Fahrzeugtechnik e.V. (ZKF) überzeugt. Der Verband kooperiert seit 2022 mit der Dealag und empfiehlt seinen Mitgliedsbetrieben das Dienstleistungsunternehmen im Falle einer anstehenden Betriebsübergabe. „Ziel des ZKF war es, diesen umfangreichen Prozess zu unterstützen und den Betrieb im Tagesgeschäft zu entlasten”, schreibt der Verband auf Anfrage der Redaktion mit Blick auf die Zusammenarbeit. „Insgesamt soll dabei die Transaktionszeit verkürzt und die Verkaufschancen erhöht werden.”
Registrierter Beratungsbedarf
Dass Betriebsübergaben für die ZKF-Verantwortlichen eine große Rolle spielen, bestätigt der Verband in seinen weiteren Ausführungen: „Das Thema Nachfolgersuche hat eine zentrale Bedeutung für den Verband, um nachhaltig die Übernahme und das Weiterbestehen seiner Mitglieder zu sichern.” Innerhalb der Handelskooperationen im Aftermarket gewinnt das Thema aufgrund des demografischen und strukturellen Wandels gleichfalls an Relevanz. „Die Beratung und Begleitung der Inhaber bei der Nachfolgeregelung gehört mittlerweile zum festen Bestandteil der Arbeit der GRS-Gebietsmanager, insbesondere bei den Konzepten Quick Reifendiscount und Premio Reifen + Autoservice – Tendenz steigend”, führt die GRS aus. Eine klassische Situation ist dabei nach wie vor die Betriebsübergabe innerhalb der Familie an die nächste Generation oder auch an Mitarbeitende. Gegenüber einem externen Nachfolger vereinfacht eine solche Konstellation durchaus den Prozess, eine Garantie für eine gänzlich unkomplizierte Abwicklung ist das jedoch nicht. Die Erfahrungen der GRS etwa zeigen, dass „selbst in familiären Nachfolgelösungen eine neutrale Moderation sowie die Begleitung der Finanzierung bis hin zum Vertragsabschluss oft im Interesse der langjährigen Geschäftsführer und Inhaber ist”.
„Bei der Übergabe innerhalb von Familienbetrieben sollten die Rollen geklärt sein”, weist auch die Pneuhage-Gruppe auf einen möglichen Fallstrick hin. Mit Blick auf den sich verschärfenden Wettbewerb erhält die Gruppe mit ihren Partnersystemen nach eigenen Angaben auch immer wieder Anfragen bezüglich der Bedingungen für die Übernahme eines Betriebs in das eigene Filialnetz. Ein solches Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der Autoservice Reichle in Ehingen. Zuvor unter Reifen1+-Flagge agierend, gehört der Betrieb seit Februar zur Pneuhage Reifendienste Südost GmbH. „Mit meinem Sohn Julian wäre zwar eine innerfamiliäre Nachfolge möglich gewesen. Da die Herausforderungen für Alleinunternehmer in den letzten Jahren aber ständig schwerer wurden, haben wir uns für die Übergabe an Pneuhage entschieden”, begründete Hans-Peter Reichle die Entscheidung zur Geschäftsübergabe. „Dort wird Julian die Niederlassungsleitung übernehmen und so für Kontinuität sorgen. Gleichzeitig ist er als Kfz-Meister von vielen administrativen Aufgaben entlastet, dass er sich auf Vertrieb und Service konzentrieren kann.”
Unterstützende Maßnahmen in Kooperationen
Primäres Ziel aufseiten der Verantwortlichen ist im Falle einer Übergabe der Erhalt des Netzwerkstandorts. Daher unterstützen die jeweiligen Zentralen bei der Suche nach geeigneten Nachfolgern. So organisiert First-Stop-Partnerbetreuerin Nicole Sessenhausen regelmäßig eine Kontakt-Runde eigens für Betriebe in der Übergabe-Phase. Ferner haben die Kooperationen verschiedene Programme und Initiativen aufgesetzt, um den Nachwuchs auf die Aufgaben als Betriebsinhaber vorzubereiten. Bei der GRS gibt es etwa den Quick-Campus sowie ein eigenes GRS-Management-Förderprogramm für die Führungskräfte von morgen. Im Sommer dieses Jahres startete die bereits siebte Auflage. „Dieses exklusive Angebot für GRS-Unternehmen ist ein wichtiger Baustein für die Zukunftsplanung der Betriebe”, unterstreicht der Projektverantwortliche Dennis Epping.
Die Mannheimer Teilehandelskooperation Carat wiederum veranstaltet jedes Jahr den sogenannten Young Professionals Day, speziell für die Nachwuchstalente innerhalb der Gruppe. An wechselnden Standorten von Lieferanten und Partnern bietet das Event jungen Menschen eine Plattform, um sich zu vernetzen und gemeinsame Herausforderungen zu besprechen. „Der Young Professionals Day schafft ideale Bedingungen, um das Führungspotenzial der angeschlossenen Teilehändler langfristig zu sichern. Durch den Austausch untereinander und den Einblick in Carat-relevante Themen werden die Nachwuchskräfte optimal auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereitet”, betont Carat-Geschäftsführer Christian Gabler den Nutzen des Konzepts.
Trotz dieser Bausteine gelingt es jedoch nicht immer, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden, wenn innerhalb einer Kooperation eine Betriebsübergabe ansteht. Als letzte Instanz steht dann die Übernahme eines Standorts seitens des Netzwerks an. Auf der Carat-Gesellschafterversammlung im Frühjahr erläuterte Christian Gabler diesbezüglich: „Mit der Übernahme von Standorten streben wir danach, sowohl die Betriebe als auch den Umsatz in der Gruppe zu erhalten. Diese Strategie ermöglicht es uns, unseren Partnern Stabilität und Kontinuität zu bieten, während wir gleichzeitig unsere Präsenz und unseren Einfluss in der Branche stärken.“ Eine ähnliche Strategie bestätigte auch Jürgen Walter, Euromaster-Geschäftsführer Deutschland und Österreich, im Interview mit Automotive Insights auf der Tire Cologne: „Manchmal, wenn beispielsweise ein Franchise-Partner keinen Nachfolger findet, übernehmen wir den Betrieb als eigenen Standort. Aber die Regel ist das nicht."
Dos and Don'ts für eine gelungene Nachfolge
Um als Betriebsinhaber die Chancen auf eine passende Nachfolge zu erhöhen, gibt es einige zentrale Punkte, die zu beachten sind. Angesichts der Komplexität des Prozesses steht dabei ganz oben der Faktor Zeit. Mit einer frühzeitigen Beschäftigung mit dem Thema lässt sich vieles entspannter regeln. „Ein frühzeitiger und langfristig geplanter Übergabeprozess ist entscheidend für eine erfolgreiche Betriebsübergabe. Die GRS empfiehlt ihren Partnern daher einen Planungszeitraum von mindestens fünf Jahren”, heißt es seitens der Kooperation auf unsere Anfrage. Das bestätigt auch Rolf Jansen: „Wenigstens fünf Jahre im Voraus sollte ein grober Plan für die Übergabe stehen, wenn es geht sogar noch länger.”
Diese lange Zeitspanne sei nötig, um die vielen betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Belange einer Unternehmensübergabe vernünftig abwickeln zu können. „Wenn jemand abgibt, dann sollte er tatsächlich für die letzten drei oder fünf Jahre die kaufmännische Buchhaltung in absoluter Ordnung haben und diese Belege auch ohne großes Suchen zusammenstellen können”, betont Jansen. Ist er mit der Dealag an einem Übergabeprozess beteiligt, hilft er auch bei dieser Thematik. Der Experte spricht in diesem Zusammenhang von „Kardinalsfehlern”, die teilweise bei der Erstellung von Bilanzen gemacht würden, was wiederum einen Einfluss auf den Unternehmenswert haben kann. Auch bei der Pneuhage-Gruppe weiß man um diese Problematik und bietet im Bedarfsfall Hilfestellung bei der Ermittlung des Unternehmenswertes. Rolf Jansen ist überzeugt: „Wer da strukturiert vorgeht, das ganze zeitig anpackt und sich wirklich fünf Jahre oder sogar etwas länger Zeit lässt, der ist auf der sicheren Seite. Der findet auch mit Sicherheit einen Käufer.”
Nicht minder wichtig für eine erfolgreiche Übergabe ist ferner ein gewisses Maß an Geduld – auch und gerade hinsichtlich notwendiger Kommunikation mit potenziellen Nachfolgern. „Sehr viele Interessenten gehen verloren, weil der Betriebsinhaber während des Prozesses nicht die notwendige Geduld aufbietet”, berichtet Rolf Jansen. Die Dealag ist in solchen Fällen dann nicht nur bemüht, den Austausch in Gang zu halten, sondern wirbt auch um Verständnis für die teilweise unterschiedlichen Sichtweisen der beteiligten Parteien. Gerade bei auseinandergehenden Preisvorstellungen – einem für langjährige Betriebsinhaber besonders emotionalen Thema – ist der Dienstleister auch als Mediator gefragt. Ähnlich gelagert sind die Erfahrungen innerhalb der GRS. „Hier besteht häufig eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Inhaber und der Beurteilung des Betriebswertes durch die Käufer. Die Berater der GRS-Zentrale helfen dabei, eine realistische Perspektive zu schaffen und die emotionale Komponente zu reduzieren, um einen erfolgreichen Übergang zu ermöglichen”, heißt es gegenüber der Redaktion.
Eine gewisse „Ich-möchte-gar-nicht-loslassen-Mentalität” hat auch Rolf Jansen schon mehrmals erlebt. Insbesondere wenn die vereinbarte Einarbeitungszeit endet und es wirklich ans Aufhören gehe, seien seitens der Dealag mitunter nochmals Vermittlungsfähigkeiten gefragt. Jansen wirbt in solchen Fällen für eine spezielle Perspektive: „Ja, die Übergabe des eigenen Betriebs ist ein ernster Schritt, aber der soll doch am Schluss auch Freude machen. Dass man einen neuen Unternehmer findet, der das Rad im Sinne des alten Unternehmers gepaart mit ein paar neuen Ideen weiterdreht und damit dessen Lebenswerk fortführt.” Wie eine gelungene Übergabe aussehen kann, zeigt sich exemplarisch am Premio-Betrieb im nordrhein-westfälischen Wiehl. Nach 35 Jahren hat Volker Kuhn die Geschäftsführung des Standorts vor Kurzem an seinen Nachfolger Markus Rinscheid übergeben – und ist mit dieser Lösung überaus zufrieden: „Herr Rinscheid ist der richtige Mann am richtigen Ort. Ich freue mich, dass er den Betrieb übernimmt und bin sicher, dass er mit meinem altbewährten Team jedem Kunden den passenden Service bieten wird.”