VDAT-Geschäftsführer Harald Schmidtke im Interview

"Tuning ist ein Hobby und so sollten es viele auch sehen"

Essen Motor Show Fester Termin im VDAT-Kalender: die Essen Motor Show.   Foto: Schuchrat Kurbanov/Messe Essen GmbH

Harald, wie würdest du den Begriff Tuning beschreiben?

Harald Schmidtke: Tuning ist nicht fest zu umreißen und – ganz wichtig – es ist ein Hobby. Und so sollten es viele auch sehen. Es ist der Wunsch von automobilbegeisterten Menschen, ihr Fahrzeug individueller aussehen zu lassen als das Identische, was vom Band fällt.

Du bist ja jetzt schon seit 2008 VDAT-Geschäftsführer. Wie bist du denn in diese Position gekommen? 

Harald Schmidtke: Die automobilen Gene sind mir wohl vom Vater übertragen worden, der auch schon autobegeistert war. Ich habe dann nach einer kaufmännischen Ausbildung und berufsbegleitendem Studium relativ früh automobilen Kontakt gehabt, indem ich bei der Firma Zakspeed Formula Racing als Assistent des Motoreningenieurs begann zu arbeiten. Und dann bin ich irgendwann zur Firma Zender gewechselt und war 20 Jahre dort, bis ich 2008 zum Verband der Automobiltuner als hauptamtlicher Geschäftsführer gewechselt bin. Man sieht also, Auto und die Begeisterung fürs Auto und Individuelles begleitet mich schon ganz, ganz viele Berufsjahre.

Das merkt man auch. Du hast vorhin gesagt, Tuning ist ein Hobby. Und zwar eines, in dem durchaus einiges an Wirtschaftskraft steckt, wenn man sich die Ergebnisse einer Studie von der BBE Automotive zur letztjährigen Essen Motor Show ansieht. Dort ist zum Beispiel von ca. drei Millionen Pkw in Deutschland die Rede, die man als getunt bezeichnen kann bzw. an denen irgendwelche Umbauten vorgenommen wurden. Zudem gibt es eine Vielzahl an spezialisierten Tuning-Betrieben und -Werkstätten und weitere 4.000 Betriebe, die sich zumindest am Rande mit dem Thema beschäftigen. Alles in allem reden wir über einen Umsatz im Aftermarket von ungefähr 2 Milliarden Euro. Bei diesen Zahlen ist ein gemeinsames Verbandsorgan wie der VDAT sicherlich sehr sinnvoll. Was kannst du uns denn zur Gründung des VDAT sagen?

Harald Schmidtke: Es ist ganz unzweifelhaft so, dass das Hobby vieler Menschen eben dazu führt, dass sich daraus ein Wirtschaftsfaktor entwickelt. Und dieser Wirtschaftsfaktor ist nicht nur auf Deutschland begrenzt, sondern europaweit und weltweit. Aber bezogen auf Europa ist Deutschland das umsatzstärkste Land beim Thema Tuning. Obwohl wir Regelungen haben, die vieles begrenzen, aber auch vieles möglich machen und die vor allem in der Subsumierung dafür sorgen, dass, wenn ich ein ordnungsgemäß umgerüstetes Fahrzeug habe, dieses Fahrzeug auch final genauso versichert ist wie ein Serienfahrzeug. Das ist in vielen anderen Ländern nicht der Fall und ein Restrisiko für diejenigen Menschen, die ein umgerüstetes Auto fahren. 

Wir als VDAT wurden 1987 gegründet, nachdem es im Jahr 1986 seitens der damals einzig existierenden Prüforganisation TÜV eine Vorlage gab, dass umgerüstete Fahrzeuge jedes Jahr zur Hauptuntersuchung vorstellig werden sollten. Das war wohl vornehmlich eine Idee aus monetären Gründen. Das war dann der Anlass für einige tuning-affine Unternehmer, gegen diese Ungleichbehandlung aktiv zu werden und gemeinsam zu überlegen, welche Möglichkeit es überhaupt gibt, sich gegen Regularien und Behördenauflagen zu wehren. Und da lag es eben nahe, einen Verband zu gründen. Das war der Verband Deutscher Automobil Tuner, damals noch rein mit dem nationalen Begriff. Und einer der Initiatoren war unser langjähriger Vorstandsvorsitzender Bodo Buschmann.

Also ging es bereits in den Anfangsjahren vor allem um eine gemeinsame Interessensvertretung beim VDAT. Wie ist es denn heute um das Selbstverständnis des Verbands bestellt, wenn es darum geht, dass man die Tuningszene gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit vertritt? Gerade mit Blick auf ein tendenziell eher negatives Image, was die Szene bei dem einen oder anderen hat?

Harald Schmidtke: Da ziehe ich dann gerne auch die Ergebnisse der BBE-Studie heran. Es ist unzweifelhaft so, dass wir heute Randgruppen haben, die das Gesamtimage der Tuning-Szene negativ belasten. Konkret ausgesprochen Poser und Raser. Medientechnisch und umgangssprachlich wird das leider häufig über einen Kamm geschoren. Das sollte man aber auf keinen Fall tun. Die einen, also die Poser als auch die Raser, sind vorsätzlich unterwegs, um Regeln zu überschreiten. Und die klassischen Tuner wollen tatsächlich einfach nur ihr Hobby ausleben, Freude am Automobil leben, sich in einer Community treffen, sich austauschen und friedlich ihrem Hobby nachgehen. Das ist der große Unterschied. Und da würde ich mich über die gesamte Bandbreite der Kommunikation freuen, wenn da eine intensivere Abgrenzung gemacht würde.

Und das ist auch ein zentraler Punkt, den ihr als VDAT versucht voranzubringen?

Harald Schmidtke: Ja, wir sind damit unterwegs und haben Unterstützung durch die Kampagne Tune it! Safe!, die unter der Schirmherrschaft des Verkehrsministers steht. Aber es geht nicht einfach darum zu sagen: Tuning is not a crime. Obwohl es das wirklich nicht ist! In der Kommunikation rund um Tune it! Safe! nutzen wir ein jährlich neues Kampagnenfahrzeug im offiziellen Outfit eines Polizeiwagens. Das hat, als wir 2006 damit gestartet sind, innerhalb des Verbandes zu sehr intensiven Diskussionen geführt, weil die teilweise liebevoll benannte Rennleitung ja doch nicht zu den Freunden der Tunings-Szene gehört. Aber wir haben von Beginn an ganz tolle Unterstützung der Polizei Nordrhein-Westfalen gehabt, die der Szene auf der Essen Motor Show gegenübergetreten ist und gesagt hat: Ihr könnt mit uns auf Augenhöhe sprechen. Wir wissen, dass in der Praxis nicht alles so glatt und sauber läuft, wie auch wir uns das wünschen würden. Weil beim Thema Umrüstung in verkehrbefindlicher Fahrzeuge – das ist die Überschrift auch für den Bereich Tuning in der StVZO – das Wissen nicht bei allen Polizisten so vorhanden ist, wie bei diesen Spezialisten. Da kann eben nicht jeder sattelfest sein. 

Die Tune it! Safe!-Kampagne ist heute noch sehr erfolgreich, was zeigt, dass wir damals den richtigen Nerv getroffen haben. Und mit dem virtuellen Mr. Safety, der Teil dieser Kampagne ist, glauben wir, die kompetenteste Plattform bieten zu können für Fragen rund ums Thema Tuning. Fragt Mr. Safety und ihr werdet innerhalb von spätestens zwei Tagen eine sehr kompetente Antwort über das Netzwerk von VDAT, Polizei und Sachverständigen erhalten.

Ein sehr aktuelles Thema für den VDAT und seine Mitgliedsbetriebe ist das Teilegutachten-System bzw. der Übergang vom Teilegutachten zum Teiletypen-Genehmigungssystem, wie es ja dann heißen wird. Was hat es damit auf sich? 

Harald Schmidtke: Das Teilegutachten-System ist vor ziemlich exakt 30 Jahren in Kraft getreten, weil damals die Typgenehmigungsabteilung des KBA überlastet war und man der Tuningindustrie und den Teileherstellern nicht auferlegen wollte, mit dem Teileverkauf zu warten, bis eine Genehmigung vorliegt. Von den Prüfregularien her ist das Teilegutachten für die meisten Bauteile identisch oder nahezu identisch mit den ABE-Anforderungen. Anders als bei einem Bauteil mit ABE musste man jedoch zwingend zu einer Prüforganisation gehen und das Bauteil mit Teilegutachten eintragen lassen.

Sowohl das Teilegutachten als auch die ABE sind rein nationale und aufgrund des Alters nicht von der Europäischen Kommission notifizierte Gutachten und Genehmigungen. Der größte Nachteil des Teilegutachtens ist entstanden durch die Loslösung vom KBA, weil ein Teilegutachten, wenn es einmal in Verkehr ist, nicht mehr durch das KBA zurückgezogen werden kann.,Das heißt, die Marktüberwachungsstrukturen sind dort nicht anwendbar. Und gerade zum Thema Marktüberwachung gab es im Verlauf dieser vergangenen 30 Jahre sehr viele europäische harmonisierte Regelungen, sodass es notwendig wurde, dort aktiv zu werden. Und den aktuellen Status, dass das Teilegutachten entfällt, den gab es eigentlich schon im Jahr 2008 durch einen Bundesratsbeschluss. 

Das ist ja schon eine ganze Weile her.

Harald Schmidtke: Ja, das hängt aber nicht daran, dass die Behörden zu langsam arbeiten, sondern man hat das Thema vermutlich im Sinne der Industrie bewusst etwas schleifen lassen. Das ging aber nur gut bis Ende 2015, da wurde der Druck Europas größer. Zu diesem Zeitpunkt gab es aber auch Teilegutachten für Bauteile, für die keine ABE erteilt wurde. Wenn man das System jetzt blitzartig umgestellt hätte, hätte es für diese Bauteile keine Gutachten oder Genehmigungen gegeben und die Industrie hätte Umsatzverluste hinnehmen müssen. Das war so nicht angedacht, weshalb man dann nochmal nachgebessert hat, sodass am 19. Juni dieses Jahres der Bundesrat dann das finale Go zum Entfall des Teilegutachtens und zur Einführung der Teiletypengenehmigung gegeben hat. 

Was bedeutet das für die Tuner? Autos, die umgerüstet sind, haben Besitzstand, auch wenn Teilegutachten-Teile verbaut sind. Man kann sich Teilegutachten-Bauteile auch noch bis Juni 2028 wie gehabt eintragen lassen. Danach ist das Teilegutachten aber nicht wertlos, sondern man kann den Weg über das Einzelgenehmigungsverfahren, also das, was draußen in der Szene als §19.2 mit 21 formuliert wird, gehen. Für diese Art der Eintragung sind Teilegutachten nach wie vor nutzbar und problemlos als Grundlage zu verwenden, dass ein Sachverständiger sie auch eintragen wird. Also für den Verbraucher selbst verändert sich nicht sehr viel. Die Veränderung liegt vielmehr bei den Teileherstellern. Es ist ein klarer Verantwortlicher definiert, der die Haftung trägt. Und es ist die sogenannte Anfangsbewertung beim KBA durchzuführen. 

Ihr als VDAT habt da ja außerdem darauf auch merksam gemacht, dass man sich dieses Themas relativ zeitnah annehmen sollte.

Harald Schmidtke: Ja, klar. Teilegutachten konnten ohne die KBA-Anfangsbewertungen beantragt werden. Auch dafür war eine Zertifizierung notwendig, aber eine andere. Und der Mensch neigt ja dazu, alles auf den letzten Drücker zu machen. Und dadurch wird vermutlich ein Flaschenhals entstehen, der eben dazu führt, dass da ein Gap entsteht, in dem ich als Teilehersteller gerne eine Genehmigung hätte, aber keine bekomme, weil meine Anfangsbewertung noch nicht abgeschlossen ist, weil die Zeit nicht gereicht hat. Wir machen schon seit zwei Jahren darauf aufmerksam und sagen, Leute, kümmert euch bitte. 

Als VDAT seid ihr ja auch auf den großen Messen der Branche unterwegs, Tuning World Bodensee, Essen Motor Show. Was ist denn das zentrale Ziel für euch mit so einem Messeauftritt? Geht es da um Präsenz in der Szene und den Kontakt zu Mitgliedern und auch zu Tunern?

Harald Schmidtke: Der Verband als solches ist für die Endverbraucher sicherlich nicht der priorisierte Ansprechpartner auf der Messe. Wir sind da, weil viele Fragen kommen. Aber wir sind dort in Kombination mit der Kampagne Tune it! Safe!, deren neuestes Fahrzeug ja auf der Essen Motor Show enthüllt wird. Diese Kampagne ist das Kommunikationsmittel des VDAT zum Endverbraucher. Diese intensive Kommunikation ist auch sehr wichtig, denn dank des World Wide Webs gibt es immer mehr Teile aus Ländern, die keine Prüfvorschriften kennen und bei denen es den Herstellern schlussendlich auch egal ist, ob ihre Produkte den Sicherheitsanforderungen der Ansprüche im öffentlichen Straßenverkehr überhaupt genügen. Und man kann auch nicht verlangen, dass jeder in der Szene, der Spaß an der Umrüstung hat, sich in dem komplexen System der Vorschriften im Detail auskennt. Das ist schon fast eine Wissenschaft geworden. Deswegen finde ich es ganz toll, dass wir dort seit vielen Jahren eine Plattform haben und interessierte Leute zu uns zu Tune it! Safe! kommen können und alle ihre Fragen beantwortet bekommen. 

Außerdem gibt es noch den VDAT-Gemeinschaftsstand auf solchen Events. Welcher Gedanke steckt dahinter? 

Harald Schmidtke: Der VDAT hat eine heterogene Mitgliedergemeinschaft. Da sind Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern, wir haben aber auch erfolgreiche Unternehmen mit fünf Mitarbeitern. Und der Gemeinschaftsstand ist entstanden, als wir bemerkt in Gesprächen mit unseren Mitgliedern gemerkt haben, dass ein grundsätzliches Interesse an einem Messeauftritt besteht, aber vielfach die Manpower für so ein Projekt fehlt. Da haben wir gesagt, wir belegen eine Fläche in Absprache mit der Messe Essen – die uns da auch sehr freundlich unterstützt – und geben Unternehmen, die eben diese Manpower nicht haben, die Möglichkeit, sich dort zu präsentieren. Die kriegen einen quasi fertigen Stand geliefert, müssen ihre Exponate draufstellen, bringen ihre Prospekte und ihr Personal mit und können loslegen. Und das funktioniert auch seit vielen Jahren sehr gut und ist dauerhaft ausgebucht. Noch größer aufziehen können wir das aber leider nicht, weil  auch wir eine personelle Kapazitätsgrenze haben. Dazu kommt, dass wir die Gemeinschaftsstände – also eine gewerbliche Aktivität aus Sicht des Finanzamtes – innerhalb eines eingetragenen Vereins betreiben. Dem sind vereinsrechtlich sehr enge Grenzen gesetzt. 

Sehr schön, dass das Angebot auch so sehr frequentiert wird: Dass Messen an sich auch noch eine gewisse Relevanz haben und von Endkunden als wichtige Informationsquelle gesehen werden, war auch eine der Kernthesen der BBE-Studie.

Harald Schmidtke: Absolut. Anlässlich der Corona-Zeit hat man den Eindruck bekommen, dass viele Unternehmen gedacht haben, sie müssten jetzt nur noch Online-Meetings. Das geht aber nicht für alles und nicht in allen Fällen. Manchmal ist es notwendig, live bei den Menschen zu sein. Und genauso sehe ich die Messen: Schmecken, tasten, fühlen, erleben. Das hat man nach Corona sehr schnell gemerkt, dass das der Mensch immer noch will. Und deswegen ist auch der Erfolg von bestimmten Messen noch da.

Das belegen ja die Zuschauer- und Besucherzahlen der großen Tuning-Messen, dass genau dieser Wunsch nach persönlichen Austausch nach wie vor da ist. 

Harald Schmidtke: Die Essen Motor Show 2023 war meine persönlich 31. Runde. Ich habe mich am zweiten Samstag gefühlt wie in den besten 90er-Jahren. Das war irre. Es wurde sich quasi durch die Hallen geschoben. Und mir kann keiner erzählen, dass bei solchen Voraussetzungen jemand da hinkommt, der kein Interesse an der Sache hat. Er oder sie kommt ja gezielt dahin. Und ja, Tuning ist männerdominiert. Wir haben aber einen Mann-/Frauanteil von 75 bis 80 zu 20 bis 25 Prozent und diese Tunerinnen treffen wir beispielsweise auch bei den Track and Safety Days.

Werfen wir doch nochmal einen Blick auf den VDAT-Kalender, wo du gerade die Track and Safety Days genannt hast. Was steht denn außerdem für euch im Rest des Jahres noch an? 

Harald Schmidtke: Bezogen auf die Endverbraucher ist es ganz klar die Essen Motor Show. Die Vorbereitungen laufen schon jetzt auf Hochtouren, Aber für unsere Mitglieder ist eben die über die nächsten vier Jahre ablaufende Umstellung des Gutachtensystems auf die Teiletyp-Genehmigung ein derart umfassendes Thema, dass wir das KBA dazu bewegen konnten, auf der Essen Motor Show einen Vortrag über die Notwendigkeit der Umstellung und die entsprechenden Details zu halten. Darüber informieren wir unsere Mitglieder aktuell und laden sie dazu ein, insbesondere ihre Homologations-Experten dorthin zu schicken, sodass für die Teileindustrie die Umstellung möglichst problemlos verläuft. 

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